„Die Dalmatinischen Abgeordneten im Österreichischen Reichsrat
nach der Wahlrechtsreform von 1907"
Vortrag vor der Österreichisch – Kroatischen Gesellschaft am 12.3.2009 in Wien
Die österreichisch-kroatische Gesellschaft hat mich gebeten,
über meine im Vorjahr approbierte Diplomarbeit zum Thema „Die dalmatinischen
Abgeordneten im Österreichischen Reichsrat nach der Wahlrechtsreform von 1907"
zu referieren.
Nun, 150 Seiten auf 40 Minuten zu reduzieren scheint mir weniger die Aufgabe
eines Historikers, als die eines Journalisten zu sein. In diesem Sinn will ich
einen etwas kaleidoskopartigen Überblick über das erste Jahrzehnt des 20.
Jahrhunderts versuchen, vor allem was das Umfeld betrifft, in dem die damaligen
dalmatinischen Abgeordneten zu agieren hatten. Das betrifft die wichtigsten
politischen Ereignisse, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation und
natürlich die Abgeordneten selbst – mit ihren Wünschen und Sorgen, oft auch mit
ihrem Zorn über die Politik der Wiener Regierung. Mit ihren Visionen und ihrer
Demagogie. Und mit den oftmals erstaunlichen deutschen Parlamentsreden und
Formulierungen von Mandataren mit kroatischer oder serbischer Muttersprache, die
mehrheitlich in den Schulen noch Italienisch als Unterrichtssprache hatten.
Ich möchte sie nun genau 100 Jahre zurück in die Vergangenheit führen:
Im März 1909, in einer außenpolitischen Debatte über die Erhaltung des
Friedens in Europa angesichts eines möglichen Krieges mit Serbien nach der
Annexion von Bosnien –Herzegowina fand der kroatische Abgeordnete
Don Juraj Biankini (aus dem Wahlkreis Dubrovnik) Worte im Wiener Parlament, die er heute -
nach der Erfahrung dieser letzten 100 Jahre – vor allem aber der letzten 20
Jahre – wahrscheinlich anders formulieren würde:
Biankini sagte, die Kroaten sowohl im Königreich Kroatien als auch im
Königreich Dalmatien würden vor einem Krieg mit Serbien zurückschrecken, weil
„Serben und Kroaten nach Blut und Zunge Brüder sind".
In einer weiteren Rede sagte Biankini, dass man in Dalmatien darüber hinaus
hoffe, dass es in den nächsten 10 Jahren nicht zum Traum aller bewussten
Italiener kommen werde, nämlich zur Seeschlacht um die Vorherrschaft in der
Adria.
(Mit den bewussten Italienern meinte er wohl die Anhänger der
Irredenta). Und mit einem ordentlichen Schuss Polemik fügte er hinzu, dass die
k. u. k. Kriegsmarine für diese Schlacht weder quantitativ noch qualitativ
gerüstet sei – nicht zuletzt deshalb, weil an der Marineakademie in Rijeka immer
mehr Magyaren und immer weniger Kroaten aufgenommen würden – wobei allerdings
von den ausgebildeten Magyaren nur zwei
Prozent tatsächlich bei der Marine blieben, weil die übrigen durch die Mutter
Natur, in diesem Fall durch die Seekrankheit, wieder zur heimischen Scholle
zurückgebracht würden.
Der Abgeordnete AnteTresić-Pavičić aus
dem Wahlkreis Brač-Hvar schließlich meinte in einer außenpolitischen Rede,
Österreich solle aus dem Dreibund mit Italien aussteigen, zusammen mit den
anderen Großmächten die Teilung der Türkei weiter
vorantreiben und sich auf keinen Fall in einen Krieg mit Russland einlassen.
Solch ein Krieg würde für beide Staaten, „zu einer militärischen Niederlage
führen, anschließend zu einer sozialen Revolution und die Folge davon wäre die
Republik", so Tresić-Pavičić wörtlich.
Ich habe diese Redeausschnitte deshalb an den Anfang meines Referats
gestellt, weil sie wichtige Eckpunkte der politischen Agitation der
dalmatinischen Abgeordneten im Wiener Reichsrat aufzeigen:
Die jahrelange Auseinandersetzung zwischen Kroaten und Serben über ihre
Gemeinsamkeiten, vor allem aber über ihre Unterschiede war der
kroatisch-serbischen Koalition gewichen und seit den sogenannten Resolutionen
von Rijeka und Zadar 1905 zumindest in groben Zügen beigelegt.
Es gab zu wenig Geld für Investitionen und Modernisierung – und zwar nicht
nur für die Marine. Vor allem Dalmatien wurde von der Wiener Zentrale viele
Jahrzehnte lang materiell überaus stiefmütterlich behandelt.
Nach der Enttäuschung über die schlechte Behandlung durch Wien hatten die
Kroaten kurzzeitig versucht, mit der ungarischen Opposition gemeinsam gegen Wien
zu agieren. Kaum war diese Opposition aber in Budapest an der Regierung, führte
sie unter fadenscheinigen Begründungen zur Empörung aller Kroaten ungarisch als
Dienstsprache bei den kroatischen Eisenbahnen ein. Der Versuch, sich mit den
Ungarn zu verbünden, brachte den Kroaten de facto also nichts und führte nicht
nur in Kroatien, sondern auch in Dalmatien in diesen Jahren dazu, dass sich das
„Feindbild" Budapest wesentlich verstärkte.
Die Magyaren galten als die Schuldigen am Elend der Kroaten in Kroatien, und
von den dalmatinischen Abgeordneten wurde im Wiener Parlament immer wieder die
Mitschuld der Wiener Regierung an diesem Elend hervorgehoben, weil sie die
Ungarn gewähren lasse, ohne einzuschreiten.
Diese zeitweise heftigen Parlamentsdebatten waren Folge der staatsrechtlichen
Absurdität nach den Ausgleichen 1867 und 1868.
Im österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 war Dalmatien ein Teil der
Österreichischen Reichshälfte. Ein Jahr später, im ungarisch – kroatischen
Ausgleich wurde aber Dalmatien als Teil des Dreieinigen Königreiches Dalmatien,
Kroatien und Slawonien genannt und darauf verwiesen, dass man Dalmatien unter
die ungarische Krone zurückholen wolle.
Diese beiden unterschiedlichen Formulierungen waren beide von Franz Joseph
sanktioniert – einmal als Kaiser von Österreich, im Jahr darauf dann als König
von Ungarn.
Das eigentliche Problem des ungarisch-kroatischen Ausgleichs 1868 war, dass
er in ungarischer Fassung anderes auslegbar war als in kroatisch (in diesem Fall
wurde Kroatien als „gleichberechtigtes Königreich" neben Ungarn bezeichnet, auf
ungarisch aber als ungarische Provinz mit einigen Autonomiezugeständnissen).
Für Wien war nur der österreichisch-ungarische Ausgleich relevant und das
bedeutete: keine „Einmischung" in Angelegenheiten des anderen Landes.
Und schließlich kommt in diesen kurzen einleitenden Zitaten auch noch die
durchaus realistische politische Zukunftseinschätzung der Dalmatiner zu Ausdruck
- nicht nur was die weitere Entwicklung auf dem Balkan selbst betrifft, sondern
vor allem die Sorge vor einem italienischen Griff nach der ostadriatischen
Küste. Und dass dies berechtigt war, zeigen die italienischen Besetzungen großer
Teile Dalmatiens schon 1918 und dann nochmals 1941.
1907 wurde in Cisleithanien das neue, allgemeine und geheime Wahlrecht
beschlossen – nach jahrlangen Auseinandersetzungen und auch großen öffentlichen
Demonstrationen. -- In der ungarischen Reichshälfte kam dagegen das allgemeine Wahlrecht
nicht: in Transleithanien lag der Bevölkerungsanteil der Ungarn unter 48 Prozent
und allgemeine Wahlen hätten damit zu einer Mehrheit von nicht-magyarischen
Abgeordneten im Budapester Parlament geführt. Mit einem zusätzlich krass
manipulativen Wahlrecht waren bis 1910 in der ungarischen Reichshälfte überhaupt
nur zwei Prozent der kroatischen Bevölkerung stimmberechtigt.
Auch das neue Wahlrecht in der österreichischen Reichshälfte war nicht
wirklich allgemein, es war ein reines Männerwahlrecht mit vielen Einschränkungen
(etwa musste man vor der Wahl ein Jahr lang am Wahlort sesshaft sein, nicht nur Vorstrafen, sondern
zum Beispiel auch ein Konkurs waren Ausschließungsgründe, aktive
Militärangehörige hatten kein Wahlrecht). Aber immerhin: das alte
Kurienwahlrecht war abgeschafft, jeder Wähler hatte eine Stimme, es gab
Einer-Wahlkreise. Der Kandidat mit der absoluten Mehrheit im Wahlkreis war
gewählt. Gab es bei mehreren Kandidaten im ersten Wahlgang keine absolute
Mehrheit, kamen die beiden stärksten Kandidaten zwei Wochen später in eine
Stichwahl.
Dalmatien hatte damals etwa 600.000 Einwohner (80 % Kroaten, 17% Serben und 3
% italienisch Sprechende). Etwas mehr als 20 % (130.000) waren tatsächlich
wahlberechtigt und sie konnten für den Wiener Reichsrat insgesamt 11 Abgeordnete
wählen.
Zwei dieser Abgeordneten waren Serben, weil die Kroatische Partei als Folge
des Friedensschlusses mit den Serben in den Wahlkreisen Knin und Kotor keine
eigenen Kandidaten aufstellte und diese Wahlkreise somit kampflos den Serben
überließ. Sechs Abgeordnete stellte die Kroatische Partei (sie war aus dem
Zusammenschluss von Nationalpartei, Kroatischem Klub und Teilen der Rechtspartei
entstanden). Drei Abgeordnete kamen vor der Reinen Rechtspartei (ab 1910 nannte
sie sich dann klerikale Rechtspartei).
Die Wahl erfolgte ursprünglich für sechs Jahre, doch wurde die
Reichsratsperiode durch die Ausschreibung von Neuwahlen 1911 auf nur vier Jahre
verkürzt.
Auf zwei Besonderheiten – zumindest aus heutiger Sicht – möchte ich noch
hinweisen:
Erstens: von den neun kroatischen Abgeordneten aus Dalmatien waren fünf
katholische Priester, ein Schriftsteller und drei Juristen. Die beiden Serben
waren ebenfalls Juristen. -- Auch wenn man heute oft davon spricht, dass die Berufsverteilung im
Parlament die Bevölkerungsstruktur nicht richtig wiederspiegelt: wirklich
repräsentativ für eine Bevölkerung von mehr als 80 Prozent Kleinbauern und
Landarbeitern waren die dalmatinischen Abgeordneten damals wohl nicht. ---
Und zweitens: die Behörde hat damals – in der Person von Statthalter Nardelli
– massiv in den Wahlkampf eingegriffen. Im Wahlkreis Split hatte nämlich auch
die kroatische volkstümliche Fortschrittspartei mit – natürlich dem Rechtsanwalt
–Josip Smodlaka an der Spitze kandidiert. Smodlaka hatte vor allem im Umland von
Split eine große Anhängerschaft bei den Kleinbauern und Taglöhnern, er war
überaus Wien – kritisch und antiklerikal. Um seine Wahl zu verhindern, hatte die
Kroatische Partei im Zusammenwirken mit Statthalter Nardelli als Gegenkandidaten
einen Unabhängigen nominiert, den Domherrn und anerkannten Archäologen Don Frane
Bulic. Er leitete die Ausgrabungen in Salona bei Split, erklärte zweimal
öffentlich, dass er nicht kandidieren und auch nicht in den Reichsrat wolle,
wurde von Nardelli und den Parteispitzen der Kroatischen Partei praktisch zur
Kandidatur genötigt und gewann die Stichwahl gegen Smodlaka mit wenigen Stimmen
Vorsprung – nicht zuletzt deshalb, weil die kleine Sozialistische Partei für
diese Stichwahl eine Empfehlung für Smodlaka abgegeben hatte und damit mögliche
bürgerliche Smodlaka – Wähler abgeschreckt hatte.
Der gewählte Bulic kam nach 2 ½ Jahren zu einer einzigen Parlamentssitzung
nach Wien – böse Stimmen haben ihm vorgeworfen, um seine Diäten zu kassieren –
und legte einige Monate später sein Mandat zurück. Bei der dadurch im Wahlkreis
Split notwendig gewordenen Nachwahl 1910 wurde dann übrigens Smodlaka gewählt –
ohne Gegenwehr des Statthalters, der zuvor an den Wiener Innenminister berichtet
hatte, dass sich Smodlaka geändert hätte und jetzt nicht mehr so radikal sei.
Auch den bereits erwähnten, bekannten Schriftsteller Tresić – Pavičić wollte
Nardelli verhindern. Er meldete Gerüchte nach Wien, dass eine Freundin des
Schriftstellers in einem Hotelzimmer in Zagreb tot aufgefunden worden sei und
ihre Todesursache nie geklärt werden konnte, dass Tresić- Pavičić nur deshalb
kandidiere, weil er ein geregeltes Einkommen brauche und dass man von Wien aus
daher versuchen sollte, ihm eine Stelle als Redakteur bei einer Zeitung in
Triest anzubieten. Damit müsste man sich mit diesem kritisch – oppositionellen
Geist dann weder im Wiener Reichsrat, noch in Dalmatien herumschlagen.
Tresić – Pavičić erreichte auf den Inseln aber schon im ersten Wahlgang 65
Prozent, war dann im Reichsrat bis zum Ende der Monarchie ein gefürchteter
Redner und übrigens in den Zwanzigerjahren eine Zeit lang Botschafter der
SHS-Staates in Washington.
Was die Arbeit der Abgeordneten im Reichsrat betrifft, kann die scherzhaft
gemeinte Anmerkung eines früheren österreichischen Bundeskanzlers, dass im
Parlament nach vier Uhr nicht mehr gearbeitet wird, wohl auf die damaligen
Abgeordneten nicht angewendet werden. Es gab im Schnitt zehn Plenartage im Monat
– viel mehr als heute – die dazu noch oft bis spät in die Nacht hinein dauerten,
dazu 31 permanente Ausschüsse und für einzelne Abgeordnete bis zu 200 Ausschuss-
Sitzungen in der vierjährigen Legislaturperiode.
Insgesamt haben die dalmatinischen Abgeordneten in diesem Zeitraum 67 Reden
im Plenum des Reichsrates und 17 Reden in den vier Delegationssitzungen
gehalten. Hauptakteur aus dalmatinischer Sicht war dabei der schon erwähnte
langjährige Abgeordnete Biankini mit 25 Reden. Insgesamt haben die
dalmatinischen Abgeordneten in den knapp vier Jahren mehr als 100 Anträge im
Parlament eingebracht und 440 Interpellationen.
Dabei war einiges – salopp formuliert – an sogenannter „Knochenarbeit", die
ein Abgeordneter einfach für seinen Wahlkreis leisten muss: etwa die Forderung
nach finanzieller Hilfe nach Dürre-, Hochwasser oder Erdbebenschäden. Oder
lokale Bauvorhaben wie Straßen, Hafenanlagen, Schulen, öffentliche Gebäude,
Flussregulierungen – und auffallend oft, was aber angesichts der großen Zahl
katholischer Geistlicher nicht wirklich überrascht, waren Anträge auf
Kirchenrenovierungen und Kirchenneubauten.
Politisch relevanter war, dass etwa die Hälfte der Reden zum Budget und zu
den Budgetvoranschlägen gehalten wurde mit dem Schwergewicht auf finanzielle
Forderungen zur Hebung der dalmatinischen Wirtschaft. Ein derartiges
wirtschaftliches Hilfsprogramm wurde von der Regierung tatsächlich beschlossen,
aber nur in kleinen Teilen realisiert. Ebenfalls immer wieder gefordert wurden
mehr und bessere Bildungseinrichtungen.
Breiten Raum in den Reden nahmen staatsrechtliche Fragen ein, wobei die
Wiener Regierung - wie schon erwähnt und meist erfolglos - nachdrücklich zum
Einschreiten gegen das Vorgehen Ungarns in Kroatien aufgefordert wurde und vor
allem gegen den von den dalmatinischen Abgeordneten konstatierten „magyarischen
Gesetzesbruch" der Ausgleichsvereinbarungen.
Die dalmatinischen Abgeordneten übernahmen hier – natürlich - die kroatische
Formulierung des Ausgleichs, wonach bei relevanten Fragen der Monarchie die
Mitwirkung des Königreichs Kroatien erforderlich gewesen wäre. Die
österreichische Regierung hätte daher die Verpflichtung, etwa bei Verhandlungen
mit Ungarn von der ungarischen Regierung den Nachweis zu verlangen, dass
Kroatien in den Entscheidungsprozess eingebunden worden wäre – was eben in der
Praxis meist nicht der Fall war.
Interessant erscheint, dass alle kroatischen Abgeordneten schon zu Beginn der
Parlamentssession eine „Rechtsverwahrung bezüglich der staatsrechtlichen Stellung
Dalmatiens" abgegeben haben. Darin heißt es: Sie würden „in loyaler Weise an der
konstitutionellen Arbeit dieses Hohen Hauses teilnehmen", ohne damit allerdings
die staatsrechtliche Stellung Dalmatiens zu präjudizieren, wonach dieses „de jure
einen Bestandteil des Gesamtkönigreiches Kroatien bildet".
In einer gesonderten Erklärung schlossen sich die beiden serbischen
Abgeordneten der Forderung nach Vereinigung Dalmatiens mit Kroatien an,
"zumal sie im angestrebten Anschlusse einen Schritt zur nationalen Einigung ihres
Volksstammes erblicken".
Intensive Debattenbeiträge gab es auch zur Annexion von Bosnien und
Herzegowina, wobei einerseits die Vereinigung der annektierten Länder mit
Kroatien gefordert und andererseits stellvertretend „für die Brüder gleicher
Sprache" deren Staatsbürgerschaft und eine moderne Verfassung
eingefordert wurde.
In dieser Debatte kam es übrigens unter den dalmatinischen Abgeordneten zu
einer Auseinandersetzung zwischen dem serbischen Abgeordneten
Michailo Bjeladinović (aus dem Wahlbezirk Kotor) und dem kroatischen Abgeordneten
Josip Perić von der Rechtspartei (aus dem Wahlkreis Imotski).
Bjeladinović erklärte, dass es kein „Bosnisches Volk" gäbe
sondern nur eine einzig richtige Benennung dieser einheimischen
Nation, „welche schon jetzt das dreizehnte Jahrhundert Bosnien und die
Herzegowina bewohnt und welche sowohl ethnographisch als auch seinem nationalen
Selbstbewusstsein nach im großen und ganzen serbisch ist und bleibt."
Dabei bilde der serbische und kroatische Volksstamm, wenn auch unter
zwei Namen, „bekanntlich eine einheitliche Nation". Er
jedenfalls vertraue auf die „bewährte Kraft der serbischen
Nation in Bosnien und der Herzegowina",
Daraufhin meldete sich der Kroate Perić und erklärte: Die Behauptung,
dass „in Bosnien und der Herzegowina im Großen und Ganzen nur Serben leben"
müsse tatsächlich berichtigt werden, weil sie „im direkten Widerspruche mit der
historischen Wahrheit und mit dem ethnographischen Tatbestande steht". Die
Kroaten hätten Bosnien von den Awaren befreit, Bosnien hätte eines der sieben
kroatischen Banate gebildet, der Ban von Bosnien wäre einer der Wahlfürsten der
kroatischen Könige gewesen.
Angesichts dieser historischen Beweise könnte man nicht von einer serbischen
Nation reden. „Kann der Herr Abgeordnete glauben, dass diese seine kaum
zeitgemäße Exkursion zur Bekräftigung der eingeleiteten brüderlichen Verständigung
zwischen Serben und Kroaten beitragen wird? Ich glaube kaum". Man
müsse wohl etwas vorsichtiger vorgehen, „um unsere kroatische
Empfindlichkeit nicht zu verletzen".
Also - ganz scheint der Schulterschluss zwischen Kroaten und Serben damals
doch nicht gelungen zu sein. Obwohl es bei einem weiteren großen Thema, nämlich
dem sogenannten „Agramer Hochverratsprozess", wieder eine gemeinsame
Vorgangsweise gab.
Der auf Fälschungen basierende Prozess gegen führende serbische
Persönlichkeiten in Zagreb, denen man hochverräterische Zusammenarbeit mit dem
Königreich Serbien unterstellte, wurde nicht nur öffentlichkeitswirksam
debattiert, sondern auch wieder zur Manifestation der Zusammengehörigkeit von
Kroaten und Serben benützt. Die dalmatinischen 8 Abgeordneten wurden dabei massiv
von anderen slawischen Abgeordneten unterstützt – der Antrag zu dieser Debatte kam
vom tschechischen Abgeordneten Thomas Masaryk, der auf Grund eigener Untersuchungen
nachweisen konnte, dass dieser Prozess gegen 53 des Hochverrats Angeklagte auf
Fälschungen beruhte.
Der kroatische Abgeordnete Don Frane Ivanišević (aus dem Wahlkreis Sinj) bezeichnete
den Hochverratsprozess als ein „unwürdiges politisches Manöver" und
sagte, es wäre bedauerlich, dass „seitens des herrschenden Hauses kein Schritt
unternommen wird, dass man dieser gewaltigen Tyrannei der Magyaren einmal ein
Ende macht". Die hochverräterische Affäre sei inszeniert worden, um die „Kroatisch-Serbische
Koalition" zu schwächen. Es wäre zwar richtig, dass die Anhänger der Serbischen
Partei in Kroatien „Liebe zu den leiblichen Brüdern derselben Sprache und derselben
Religion jenseits der Grenze unserer Monarchie hegen". Es wäre dies aber dasselbe
Verhältnis, in dem „Herren aus Südtirol zu ihren Stammesgenossen in Italien oder
Herren aus den Alpenländern zu Preußen" stünden.
Als Serbe dankte der Abgeordnete Dušan Baljak
(aus dem Wahlkreis Knin) dem Tschechen Dr. Masaryk für den Antrag, weil
sich der Prozess in Zagreb nicht als Verfolgung von 53 schuldigen oder
unschuldigen Personen darstellte, sondern "als Feldzug gegen das gesamte
Serbentum". Schließlich würden als Beweise in der Anklageschrift angeführt:
Verwendung der serbischen Schrift; singen serbischer Volkslieder; Errichtung
serbischer Sparkassen, Genossenschaften und Schulen. Zur Pflege der eigenen
Nationalität würde den Angeklagten noch die „imputierte Tendenz"
vorgeworfen. Etwa die Verwendung von Zigarettenpapier mit serbischem
Wappen. Nun hätte sich dieses „als Erzeugnis einer Wiener
Fabrik" herausgestellt. Oder ein Bild des Königs von Serbien. Dieses allerdings
wäre im Zuge einer Exekution von einem königlichen Bezirksgericht in Kroatien
versteigert worden. Für einen Zeugen wäre ein Kopf mit einer Krone auf einem
Bild in einem Gasthaus der serbische König gewesen. Ein Lokalaugenschein hätte
jedoch „das Bildnis des auf einem Bierfasse reitenden Gambrinus" ergeben.
Die im Oktober 1909 in Zagreb verhängten Haftstrafen wurden dann schließlich
im September 1910 wieder aufgehoben.
In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf die Idee des sogenannten
„Trialismus" eingehen: Er sollte nach den Vorstellungen der dalmatinischen
Abgeordneten den in der Monarchie herrschenden Dualismus ersetzen, damit – wie
es der Abgeordnete Tresić- Pavičić ausdrückte - die Kroaten nicht mehr „von den
Magyaren und Deutschen als Beute geteilt" werden. Und der Abgeordnete Perić
ergänzte, dass man Kroatien, Slawonien, Dalmatien und Bosnien – Herzegowina „in
einen einzigen Staatsorganismus unabhängig von Ungarn" vereinigen sollte.
Österreich könnte sich damit „an die Spitze der Bewegung zur Befreiung der
Balkanvölker setzen".
Hohn der Geschichte, dass Perić das im Mai 1908 erklärte. Er konnte natürlich
vom geheimen Memorandum nichts wissen, das Außenminister Aehrenthal im Jahr
zuvor den beiden Ministerpräsidenten und dem Thronfolger Franz Ferdinand
zukommen hatte lassen. Darin hatte Aehrenthal vorgeschlagen, Dalmatien mit
Kroatien zu vereinigen und das bald zu annektierende Bosnien diesem
südslawischen Bollwerk anzuschließen. Damit hätte sich Zagreb zu einem starken
slawischen Zentrum entwickelt und nach Meinung von Aehrenthal hätte dieser
südslawische Block derart attraktiv werden können, dass sich diesem sogar das
Königreich Serbien innerhalb der Monarchie hätte anschließen können. Obwohl auch
Franz Ferdinand mit dem Trialismus sympathisierte, konnte sich Aehrenthal mit
seiner Idee nicht durchsetzten.
Was sich der Außenminister wohl dabei gedacht haben mochte, als er im Oktober
1908 dann im Parlament vom dalmatinischen Abgeordneten Tresić-Pavičić
persönlich angegriffen wurde als, „der Annexionsgraf, … der wolle …
dass sich die slawischen Brüder gegenseitig niedermetzeln, weil mit weniger
Kroaten und Serben der Weg zur Germanisation und Magyarisation geebnet"
würde. Und als dann Tresić-Pavičić inhaltlich nahezu ident mit den
geheimen Überlegungen des Außenministers davon sprach, dass
einem künftigen südslawischen Länderbund auch andere Bruderländer wie Slowenien
und Serbien angehören könnten.
Die dalmatinischen Abgeordneten hatten in der Wiener Regierung also nicht nur
Gegner ihrer politischen und staatsrechtlichen Forderungen – nur, sie wussten
nichts davon.
Im Parlament selbst gab es damals durchaus einige Unterschiede zu heute –
etwa eine zeitweise durchaus deftige Sprache – es waren ja nur Männer anwesend –
oder die Obstruktion als übliches Kampfmittel der Opposition und der
Minderheiten. So wurden etwa mit sogenannten Pultdeckel – Konzerten oder auch
Trillerpfeifen Reden gestört oder Abstimmungen durch Filibustern mit Dauerreden
von mehr als 1o Stunden verzögert. Im Zuge einer tschechischen Obstruktion gegen
einen Sprachenerlass haben im Februar 1909 vier Fraktionen im Parlament mit
dem Absingen nationaler Lieder begonnen und im Juli 1909 wurde nach einer Obstruktion
der Südslawen unter Führung des slowenischen Abgeordneten Šusteršič im
Budgetausschuss die Session vorzeitig geschlossen. Als dann im Dezember 1909
nach einer vier Tage lang andauernden Parlamentssitzung – unterbrochen nur durch
wenige Fünfminuten - Pausen – eine Reform zur Vermeidung von Obstruktion beschlossen
wurde, haben nur sechs dalmatinische Abgeordnete dafür gestimmt.
Tresić-Pavičić erklärte dazu, den Minderheiten die Möglichkeit zur Obstruktion zu
nehmen käme einem parlamentarischen Selbstmord gleich.
Was beim Durcharbeiten der damaligen Sitzungsprotokolle auffällt, sind die
Formulierungen: der Abgeordnete beginnt seine Rede in kroatischer – oder auch in
serbischer – Sprache und setzt dann Deutsch fort. Egal was und wie lange die
Abgeordneten zuvor in ihrer Muttersprache gesprochen haben – was nicht auf
Deutsch gesagt wurde, ist in den gedruckten Stenographischen Protokollen nicht
enthalten.
In diesem Sinn hatte der kroatische Abgeordnete Ivo
Prodan, der Führer der Reinen Rechtspartei (aus dem Wahlbezirk Zadar) schon
bei seiner „Jungfernrede" im Parlament eine Auseinandersetzung mit dem
Präsidenten. Er sprach kroatisch und verlangte dann – auf Deutsch – einen
kroatischen Stenographen. Da keiner vorhanden war, las er seine Rede zunächst in
kroatischer Sprache vor und fasste seine Ausführungen später auf Deutsch
zusammen. Er wurde vom Präsidenten zweimal unterbrochen und auf die
Geschäftsordnung verwiesen, wonach das Ablesen von Reden nicht gestattet wäre.
Nebenbei – für die Formulierung in der deutschen Zusammenfassung, wonach „die
Führung der österreichischen Politik einigen mumifizierten Kriterien anvertraut
worden" sei, würde ein Abgeordneter wohl heute einen Ordnungsruf bekommen.
Prodan argumentierte, dass er den kroatischen Text hatte lesen müssen, damit
dieser nachher im Parlamentsbüro übersetzt und anschließend ins Protokoll
aufgenommen werden konnte. Hätte er auf Kroatisch frei gesprochen, wäre seine
Rede nicht dokumentiert worden.
Abgeordneter Bjeladinović hat übrigens seine „Jungfernrede" in serbischer Sprache
begonnen „zur Wahrung der Rechte meines Volkes", wie er sagte. Er verwies auf den
Präzedenzfalldes serbischen Schriftstellers Stjepan Lubiša, der vor 40 Jahren als dalmatinischer
Abgeordneter im Reichsrat 1867 im Parlament in Wien das Recht erwirkt und auch zehn
Jahre lang in Anspruch genommen hätte, Serbisch zu sprechen und eine deutsche
Übersetzung der Rede zu übergeben.
In diesem Zusammenhang noch einige Sätze zum Abgeordneten Biankini: Julius
Sylvester, der spätere Parlamentspräsident bezeichnete Biankini als den
„... Schrecken des Parlaments, der keine Rede unter 2 bis 3 Stunden hielt".
Für den ehemaligen Stenographendirektor Fleischner war Biankini ein fleißiger,
„sehr radikaler Politiker, 11 aber persönlich ein außerordentlich charmanter und
höflicher Mann .... er sprach sehr häufig und gewöhnlich sehr lange und alle Reden
waren von ihm mit eigener Handschrift bereits immer für die Stenographen adaptiert.
So hatte er an Stellen, bei denen er Heiterkeit erwartete, bereits „Sie lachen meine
Herren" eingefügt und an Stellen, an denen er eine Rüge oder ein Eingreifen des
Präsidenten vermutete „Präsident unterbrechend" geschrieben und einige Zeilen
für die entsprechenden Bemerkungen freigelassen.
Soviel zum damals leidigen und für uns angesichts der Sprachenvielfalt im
europäischen Parlament heute wahrlich unverständlichen Sprachenproblem im Wiener
Reichsrat.
Neben Vorstößen zur Gleichstellung der kroatischen Sprache in Dalmatien und
zur besseren Einbindung der Dalmatiner in Führungspositionen der Marine hat es
vor allem noch ein Thema gegeben, das in der Legislaturperiode von sämtlichen
dalmatinischen Abgeordneten mit Verbissenheit immer wieder vorgebracht wurde:
die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Dalmatien und damit unmittelbar
zusammenhängend der Ausbau des marginalen Eisenbahnnetzes und die Anbindung
Dalmatiens an das europäische Eisenbahnnetz mit einer Verbindung durch die
ungarische Reichshälfte nach Österreich.
Der Abgeordnete Prodan hatte dies alles in einem Sechspunkte – Forderungsprogramm
an die Regierung im Sommer 1909 zusammengefasst: Wäre die Regierung bereit, den Beamten
in Dalmatien den „strengen Auftrag" zu erteilen, im Amtsverkehr „in keinem Fall" eine andere als
die kroatische Sprache zu verwenden? Den dalmatinischen Landtag zum Beschluss eines neuen
Wahlrechts einzuberufen? An die Spitze der Finanzverwaltung Dalmatiens „endlich einen
gerechten kroatischen Beamten zu stellen"? Den Bau der Eisenbahn zur Verbindung Dalmatiens
„über Kroatien mit Europa" unverzüglich in Angriff zu nehmen? Die notwendigsten Straßen,
Hafendämme und Kirchen zu errichten? Und schließlich: den vierjährigen Dienst in
der Kriegsmarine auf zwei Jahre zu reduzieren und den Mannschaften zur Zeit der
Ernte und Weinlese Heimaturlaub zu gewähren?
Das Wirtschaftsprogramm der Regierung für Dalmatien habe ich schon kurz erwähnt –
es konnte aber eigentlich aus mehreren Gründen nicht wirklich funktionieren:
Erstens
konnte das jahrlange budgetäre Aushungern Dalmatiens nicht mit
wenigen Jahresbudgets wettgemacht werden. Dass überhaupt von der Wiener
Regierung ein Anlauf genommen wurde, haben die dalmatinischen Abgeordneten mit
einer Zustimmung zum Budget 1908 honoriert. Dem Budget 1909 haben sie nicht mehr
zugestimmt, weil für alle aus dalmatinischer Sicht notwendigen Investitionen einfach
nicht genug Geld vorgesehen war.
Zweitens
behinderten auch innerdalmatinische Probleme das
Wirtschaftsprogramm: es gab kaum Industrie, im Schiffsbau war der Umstieg vom
Segelschiff zum Dampfer nicht erfolgt. Es gab Interessensgegensätze zwischen der
gebildeten Schicht in den Städten und der Landbevölkerung mit einem
Analphabetenanteil von bis zu 70 Prozent, und es gab Konflikte zwischen
Großgrundbesitzern und Kleinbauern, die als sogernannte Kolonen die Grundstücke
bearbeiteten. Beide Gruppen waren, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, an
einer Modernisierung der Landwirtschaft nicht interessiert.
Dazu kam, wie der Abgeordnete Ivanišević
betonte, eine verfehlte Meliorationspolitik der Wiener Regierung.
Insgesamt hätten in Dalmatien bis zu 30.000 ha Land für die Landwirtschaft
hinzugewonnen werden können. Konkret zum Beispiel im Raum Sinj hätte das 2
Millionen Kronen gekostet. Das wäre der Regierung zu viel gewesen. Doch die
Bevölkerung dort - etwa 20.000 – hätte durch die Nichtregulierung schon pro Jahr
einen Schaden von einer Million erlitten. Neue Felder, die Verbesserung der
bestehenden Felder durch neue Bewässerungsanlagen, Nutzung der Wasserkräfte, vor
allem aber die Zurückdrängung der Malaria - an der „ein
Fünftel der Bevölkerung in Dalmatien" leide -würden daher die Investition rechtfertigen.
Drittens
hatte Wien die schlechte Wirtschaftssituation noch verschärft
durch den Handelsvertrag mit Italien, der zum Beispiel italienische
Weinlieferungen in die Monarchie begünstigte und den für Dalmatien
wirtschaftlich so notwendigen Weinexport massiv schädigte. Wem es nicht gut
geht, der hat auch noch Pech: Fast 90 Prozent der Weinanbauflächen wurden durch
die Reblaus vernichtet und die Erneuerung der Weingärten ging aus Geldmangel nur
sehr langsam voran.
Der Abgeordnete Ante Dulibić
(aus dem Wahlkreis Šibenik) kritisierte in diesem Zusammenhang, dass
trotz unzähliger Petitionen und Ansuchen die 1907 in Aussicht gestellten
unverzinslichen Darlehen von 600.000 Kronen nicht ausbezahlt worden waren.
„Der Bevölkerung zum Hohn" wurde dieser Betrag 1909 „auf 300.000 Kronen
reduziert" und auch davon hätte bisher „niemand einen Heller erhalten".
Und in einer launigen Rede – die man heutzutage wohl auch nicht mehr so
halten würde - meinte Biankini: Statt des „giftigen Schnapses" sollte der
Verbrauch „echten Weines" – natürlich aus Dalmatien - gefördert werden,
vor allem in den Ballungszentren. „Der echte Wein kann unseren Arbeitern
belebende Kraft und Willen geben, um ihre schweren Pflichten zu erfüllen
und sie immer gesund und in guter Stimmung zu behalten"
– so Biankini wörtlich.
Was die dalmatinische Fischerei betraf, kritisierte der Abgeordnete Ante
Vuković Ritter von Vucydol (aus dem Wahlkreis Makarska) die Benachteiligung der
Produkte des Adriatischen Meeres auf dem Wiener Markt. Sowohl frische Seefische als
auch Fischkonserven aus dem Ausland würden in Wien steuerlich wesentlich günstiger
behandelt als die Erzeugnisse aus dem eigenen Land. So wäre der „Verzehrungssteuertarif"
in Wien für frische Adriafische sechs Mal so hoch wie für Nordseefische. Zum Abbau
der Probleme, mit denen die dalmatinische Seefischerei- und Konservenindustrie
zu kämpfen hätte, forderte Vuković die steuerliche Gleichbehandlung und die
Beseitigung ausländischer Einfuhrerleichterungen.
Viertens
führte die schlechte Wirtschaftslage vor allem in ländlichen
Gebieten zu einer Auswanderungswelle: rund 70.000 Dalmatiner gingen nach
Übersee. Der in der Nachwahl in Split gewählte Abgeordnete Smodlaka
sagte zum Beispiel 1910: Der einzige Ausfuhrartikel Dalmatiens zurzeit wäre
die „Ausfuhr von Menschenfleisch". Aus Brač, der größten Insel Österreichs,
wären in den letzten zwei Jahren „Hunderte von Familien" ausgewandert.
Die relative Bevölkerungsmehrheit der südlichsten Stadt der Welt, Punta
Arenas in Chile, stamme aus Brač, so Smodlaka.
Allerdings soll man nicht verschweigen, dass es für die Auswanderung junger
Männer noch einen triftigen Grund gab, nämlich die Militärpflicht. Das belegen
mehrere Anträge der Abgeordneten, diesen Männern mit ihren für die Wirtschaft
wichtigen Auslandserfahrungen nach einigen Jahren durch eine Amnestie die
Rückkehr zu ermöglichen, ohne sie als Militärflüchtlinge zu verfolgen.
Und fünftens
wurde die Modernisierung massiv durch die österreichische
Bürokratie verhindert. Facharbeitermangel im Zusammenwirken mit schwerfälliger
Bürokratie führte dazu, dass auch bereits beschlossene Projekte nicht realisiert
werden konnten. In diesem Zusammenhang erklärte der Abgeordnete Tresić-Pavičić
im Wiener Parlament den Ausdruck „trassieranje": Notwendige Straßen- und
Hafenausbauten würden trotz bewilligter Geldmittel „wegen Mangel an Arbeitskräften"
nicht vorgenommen. Seit 30 Jahren würden Ingenieure Straßen „trassieren", so
dass das Wort „trassieranje" auf den dalmatinischen Inseln bereits zum Spottwort
wurde: „Jeder, der eine unnütze Arbeit verrichtet, trassiert".
Der Abgeordnete Bjeladinović ergänzte, es würde beraten, erhoben und erwogen, aber es
gäbe keine Resultate. Bereits bewilligte Baugelder „mit eiserner Beharrlichkeit immer
wieder verfallen" zu lassen, würde man in Wien als "Leute frozzeln" bezeichnen
<< Außerdem würden einige zur Wiener Politik oppositionell eingestellte Ortschaften in der
Bucht von Kotor dadurch bestraft, dass man sie nicht ans neue Straßennetz anschließe. >>
Und der Abgeordnete Smodlaka meinte zur Bürokratie: Es müsse damit Schluss sein,
dass eine Straße erst nach 65 Jahren gebaut würde oder das „zwei Generationen
sterben", bis nach 40 Jahren „die Pläne von Wien zurückkommen" und endlich die
kleine Hafenanlage errichtet werden könnte.
Der serbische Abgeordnete Baljak berichtete, dass er von einigen seiner Wähler in
Anlehnung an das damals aktuelle Beispiel von Hongkong aufgefordert worden sei, im
Parlament Verhandlungen mit dem König von England zu beantragen, um „Dalmatien
auf die Dauer von 99 Jahren an England zu verpachten" – weil dadurch eine
wirtschaftliche Gesundung des Landes erfolgen könnte.
Dass in Parlamentsanträgen noch 1910 verlangt wurde, endlich eine
Telefonverbindung zwischen Dalmatien und Wien herzustellen, sei der
Vollständigkeit halber erwähnt.
Die Hauptforderung der Abgeordneten galt aber – wie gesagt – der
Eisenbahnverbindung zur Monarchie und einer Verbindung von Split nach Belgrad.
Ihr Fehlen führte etwa Biankini mit deftigen Worten auf die „verbrecherische Indolenz" der
Regierungen in Wien und Budapest zurück, wobei sich die Wiener Regierung immer
wieder „eine öffentliche Erniedrigung des Staates" durch Ungarn gefallen lasse.
Das Problem war, dass Ungarn eine hochrangige Bahnstrecke von seinem
Haupthafen Rijeka nach Budapest hatte und daher kein Interesse an
Bahnverbindungen von Split nach Wien und Belgrad, diese zunächst aktiv
verhinderte und später zumindest verzögerte – um Rijeka nicht der Konkurrenz
durch Split auszusetzen. Für Dalmatien war dieser Bahnbau nach den Worten von
Smodlaka und Biankini aber der „Kardinalpunkt der wirtschaftlichen Auferstehung
Dalmatiens". Die Infrastruktur an der Küste, der Handel mit dem Hinterland und nicht
zuletzt der rasche Transport von Nahrungsmitteln in die Hauptstadt würden davon
profitieren. Die Wiener Regierung argumentierte, dass es sinnlos sei, Strecken
in Dalmatien und Slowenien jeweils an die kroatische Grenze zu bauen, wenn
Ungarn nicht die entsprechende Verbindung dazwischen herstelle. Eine endlich
1907 erzielte Vereinbarung zwischen Wien und Budapest über den Bau der
sogenannten Lika-Bahn wurde von Ungarn bis 1911 trotz Dringlichkeitsdebatten im
Wiener Reichsrat und der Forderung, Ungarn wegen Vertragsbruchs zu klagen, nicht
umgesetzt.
Die Zähigkeit der Abgeordneten war erst in der nächsten Legislaturperiode
tatsächlich von Erfolg gekrönt: im März 1912 wurde das Baukonsortium gegründet
und 1913 tatsächlich mit dem Bau begonnen. (Fertig wurde der Bau aber erst
1925).
Auch in einer anderen – viele Jahre umkämpften – Angelegenheit war man 1912
erfolgreich:
Kroatisch wurde in Dalmatien als Amtssprache eingeführt.
Ich möchte zum Schluss mit einem Ausschnitt aus einer Parlamentsrede jenen
Kreis schließen, der mit den Anfangszitaten in Richtung zukunftsweisende
Perspektiven und für die damalige Zeit durchaus revolutionär anzusehende Ideen
begonnen wurde:
Josip Smodlaka erklärte in der Budgetdebatte 1910: Entscheidend wären nicht
nur Investitionen im Land, sondern auch eine völlig neue Struktur und
Organisation. Die Entscheidungskompetenz müsse von Leuten
in Wien, die großteils keinen Begriff von „den Bedürfnissen des Landes haben",
einem Statthalter im Land selbst übertragen werden. Das wäre keine
„Los von Wien" – Parole sondern eine Systemänderung in Richtung
Dezentralisierung. Wenn England seine fähigsten Leute nach Südafrika und
Indien schicke, so sollte auch Wien seine „tüchtigsten Leute zu uns schicken".
Das Land brauche „einen fähigen, modernen energischen Mann und er braucht
kein Dalmatiner zu sein, er kann auch ein Deutschösterreicher sein".
Dass Smodlaka mit dieser letzten Bemerkung bei seinen dalmatinischen Kollegen
einen Sturm der Entrüstung entfachte, muss wohl nicht extra hervorgehoben
werden.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: aber wenn ich mir einen Mann vorstelle,
der Kroatisch als Muttersprache spricht, im Europaparlament eine Rede auf
Deutsch hält, sein Thema dann auch noch auf Italienisch und Englisch bzw.
Französisch diskutieren kann und der für die wirtschaftliche Gesundung seines
Landes den fähigsten Manager einfordert – egal woher dieser kommt und welcher
Landsmann er ist - der Mann wäre für mich bei den Europawahlen in kommenden Juni
2009 mit ziemlicher Sicherheit ein wählbarer Kandidat
Die komplette Diplomarbeit kann unter
http://othes.univie.ac.at/342/1/11-29-2007_0202290.pdf
abgerufen werden.