Österreich und Kroatien: lernen aus der Geschichte?
Festvortrag 20 Jahre Kroatisches Historisches Institut in Wien (Juni 2012)
Dieser Vortrag erfolgt sozusagen in einer vierfachen
Funktion: als Mitglied der österreichisch-kroatischen Gesellschaft, als
journalistischer Zeitzeuge der letzen 50 Jahre, als ehemaliger Sekretär der
Paneuropabewegung und Mitarbeiter von Richard Coudenhove-Kalergi und Otto von
Habsburg - und schließlich noch als spätberufener Historiker, der in den letzten
Jahren noch ein Studium der Geschichte absolviert hat, mit den Schwerpunkten
Nationalsozialismus und dalmatinische Geschichte am Beginn des 20. Jahrhunderts.
Kroatien wird im kommenden Jahr einer demokratischen Staatengemeinschaft
beitreten und dort mit Ländern zusammen sein, mit denen es schon vor bald 100
Jahren in einem gemeinsamen Vielvölkerstaat vereint war. In diesem damaligen
Staat mit seinen Demokratiedefiziten und ohne wirkliche Selbstbestimmung der
Völker hat sich Kroatien – wohl nicht zu Unrecht - unterdrückt und als „Opfer“
gefühlt. In dieser Epoche der Hochblüte des Nationalismus bei fast allen Völkern
war die Zeit noch nicht reif für eine friedliche europäische
Staatengemeinschaft.
Kroatien hat den Vielvölkerstaat nach einem Mehrheitsbeschluss freiwillig
verlassen. Die kroatischen Protagonisten eines südslawischen Zusammenschlusses
mussten allerdings nach einigen Jahren feststellen, dass der SHS-Staat und vor
allem die anschließende Königsdiktatur alles andere als die erhoffte kroatische
Selbstbestimmung gebracht hatten. Ein südslawischer Vielvölkerstaat wurde, wie
es Otto von Habsburg einmal formuliert hat,
in einem verhängnisvollen Fehler zu einem künstlichen Nationalstaat unter
serbischer Dominanz umgefälscht.
Nun scheint es, dass Österreich, Kroatien und auch die meisten anderen
europäischen Staaten aus der schweren und opferreichen Geschichte des 20.
Jahrhunderts gelernt haben.
Bei der Vorbereitung des Vortrages wurde ich gefragt: Warum soll man
eigentlich Geschichte lernen?
Nun, das ist einerseits die Freude am Wissen - durchaus auch an
Kleinigkeiten, die zwar interessant sind aber für die heutige Zeit kaum Relevanz
haben.
Wichtiger allerdings sind Analyse und Bewertung historischer Fakten und
Entwicklungen auch im Hinblick auf ihre mögliche Bedeutung für die Gegenwart im
Sinn von Fehlervermeidung in der Zukunft.
Entscheidend dabei – und da geht es dem Historiker genauso wie dem
Journalisten – ist der Versuch einer „objektiven" Beschreibung. Das ist
natürlich nur bedingt möglich, weil jeder Mensch ja seine persönliche
Lebenserfahrung oder auch seine politischen Präferenzen hat. Wichtig ist aber
zumindest der Versuch, objektiv zu sein.
Hier sind viele Historiker in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts „sündig"
geworden: sie haben nicht geschichtliche Fakten berichtet und versucht, diese
objektiv einzuordnen, sondern sie wurden zu Handlangern des Nationalismus. Sie
haben nationalistische Geschichte geschrieben mit der Absicht, die Vergangenheit
des eigenen Volkes überhöht und heroisch darzustellen und damit das nationale
Gefühl der Menschen zu verstärken. Quellen wurden selektiv behandelt, auch
ungesicherte „Legenden" wurden als historische Wahrheiten dargestellt.
Diese nationalistisch geprägte und daher bei den einzelnen Völkern
unterschiedliche Darstellung historischer Ereignisse hat dann zu massiven
politischen Differenzen zwischen Kroaten und Österreichern geführt, ebenso
zwischen Kroaten und Ungarn, sowie natürlich zwischen Kroaten und Serben.
Einige dieser unterschiedlich bewerteten geschichtlichen Ereignisse möchte
ich kurz ansprechen, weil sie neben anderen Gründen mitverantwortlich dafür
waren, dass die meisten Kroaten vor 100 Jahren auf Wien nicht gut zu sprechen
waren – jedenfalls, wie ich hoffe, nicht so gut wie heute.
Da war zunächst einmal das Jahr 1102. Mit den sogenannten Pacta Conventa sind
die Königreiche Kroatien, Slawonien und Dalmatien eine Personalunion mit Ungarn
eingegangen.
Aus kroatischer Sicht ist der Zusammenschluß freiwillig erfolgt, aus
ungarischer Sicht wurden diese Länder jedoch erobert.
Aus den Pacta Conventa haben kroatische Historiker und mit ihnen Politiker
und auch die kroatische katholische Kirche das Dogma des ununterbrochenen
kroatischen Staatsrechts abgeleitet – als eigenständiger Staat, wenn auch mit
Ungarn verbunden.
Weiters verwiesen die kroatischen Historiker auf das Jahr 1713. Damals hatte
der Kroatische Landtag schon 10 Jahre vor Ungarn aus freiem Willen die
sogenannte Pragmatische Sanktion angenommen (mit der die Erbfolge im Haus
Habsburg neu geregelt wurde). Auch das wurde als Beweis dafür genommen, dass die
Kroaten keine Sklaven Ungarns waren.
Was dabei von kroatischer Seite allerdings nicht erwähnt wurde ist, dass
dieser kroatische Beschluss von Kaiser Karl VI. nicht sanktioniert worden ist,
weil - aus nicht-kroatischer Sicht - dem Landtag ein derartiger Beschluss nicht
zustand. Der Kaiser hat erst den ungarischen Beschluss von 1723 angenommen, in
dem das mit Ungarn verbundene Königreich Kroatien ausdrücklich eingeschlossen
war.
Gegen die kroatische Ansicht der freiwilligen Personalunion hat dann auch der
magyarische Nationalismus mobil gemacht. So etwa 1843, als im ungarischen
Reichstag eine Schrift zirkulierte mit dem Titel:
„Über Kroatien als eine durch Unterjochung erworbene ungarische Provinz".
Im Ungarisch-Kroatischen Ausgleich von 1868 ist in der kroatischen
Textversion von den Königreichen Ungarn und Kroatien die Rede – was eine gewisse
Gleichwertigkeit impliziert. Im ungarischen Text kommen dagegen keine
„Königreiche“ vor. Der Ausgleich wird als ein „gemeinsames Grundgesetz" von
Ungarn und Kroatien bezeichnet. Kroatien war aus dieser Sicht ein ungarisches
Nebenland mit bestimmten, festgelegten Autonomierechten.
Was hatte dieser Streit mit Wien zu tun? Nun, die Kroaten waren der Ansicht,
dass ihr Königreich bei wichtigen Entscheidungen der Gesamtmonarchie eingebunden
werden müsse, was Ungarn jedoch meist unterlassen hat. Nun war das Königreich
Dalmatien damals Teil der österreichischen Reichshälfte und hatte 11 Abgeordnete
im Wiener Reichsrat. Und diese Abgeordneten forderten die österreichische
Regierung immer wieder auf, vor einer Übereinkunft mit Ungarn nachzuforschen, ob
Ungarn zuvor mit Kroatien verhandelt hatte und – wenn dies wie üblich nicht der
Fall war - gegen diesen „permanenten magyarischen Gesetzesbruch", wie sie es
nannten, einzuschreiten.
Für die österreichische Regierung war das aber eine innere Angelegenheit
eines anderen Staates, nämlich Ungarns - und Wien lehnte alle diese
dalmatinischen Anträge ab.
Die gegenseitige Verärgerung war programmiert.
Das zweite große politische Streitthema war das Land Dalmatien selbst. Die
Kroaten forderten vom Kaiser und von der Wiener Regierung vehement einen
Wiederzusammenschluß des Dreieinigen Königreiches Kroatien, Slawonien und
Dalmatien, wie es 1102 bei der Personalunion mit Ungarn existiert hatte. Eine
aus heutiger Sicht völlig logische Forderung, waren doch schon damals rund 80
Prozent der dalmatinischen Bevölkerung Kroaten.
Es gab aber gegen diese kroatische Sichtweise auch historische Einwände:
schon knapp 100 Jahre nach den Pacta Conventa wurden die meisten Küstenstädte
Dalmatiens de facto von Venedig beherrscht und 1409 hat es auch de jure das
Dreieinige Königreich nicht mehr gegeben: Ladislaus von Neapel hatte Dalmatien
um 100.000 Dukaten an Venedig verkauft.
Fast 400 Jahre später brachte der Friede von Campoformio 1797 das Ende der
Republik Venedig. Venetien und mit ihm auch Dalmatien fielen an Österreich – und
zwar als Ausgleich für den Gebietsverlust der österreichischen Niederlande, dem
heutigen Belgien und Luxemburg. Dalmatien war aus diesem Grund Teil der
österreichischen Reichshälfte und konnte zumindest in den Augen der Wiener
Bürokratie nicht so einfach an Ungarn „verschenkt" werden. Noch dazu auf Grund
einer „nationalistisch überhöhten" Forderung nach einem Dreieinigen Königreich,
das es zuvor schon 400 Jahre lang nicht mehr gegeben hatte.
Die dalmatinischen Abgeordneten verlangten jedoch weiterhin die
Wiedervereinigung und nahmen ihre Angelobung im Wiener Reichsrat deshalb auch
nur unter Vorbehalt vor.
In einer sogenannten Rechtsverwahrung hielten sie fest, sie würden zwar
„in loyaler Weise an der konstitutionellen Arbeit dieses Hohen
Hauses teilnehmen", ohne damit allerdings die staatsrechtliche Stellung
Dalmatiens zu präjudizieren, wonach dieses „de jure einen Bestandteil des
Gesamtkönigreiches Kroatien bildet".
Die Wiedervereinigung war Streitthema bis zum Ende der Monarchie.
Was in Kroatien und Dalmatien für zusätzlichen Ärger sorgte, war die „Wiener
Undankbarkeit“. Schließlich war es der Banus Jelačić, der als „Oberbefehlshaber“
mit seinen Kroaten am 30. Oktober 1848 in Schwechat vor den Toren Wiens die
abgefallenen Ungarn besiegt hatte. Statt aber den Kroaten dafür Dankbarkeit zu
zeigen, gab Kaiser Franz Joseph in den Ausgleichsverhandlungen 1867 und auch
späterhin permanent den ungarischen Forderungen nach.
Ungarn forcierte den magyarischen Nationalismus, hatte „Angst“ vor einer
„südslawischen Einheit“ und beschnitt, wo es nur ging, die kroatische Autonomie.
Dem Kaiser wurde nun vorgeworfen, als kroatischer und auch als dalmatinischer
König gegen die kroatischen Interessen zu agieren. Der Vorwurf war berechtigt,
ging aber an der sogenannten Realverfassung vorbei. Wenn es um den Zusammenhalt
der Doppelmonarchie ging, waren nun einmal die Ungarn der wichtigere Partner.
Was Dalmatien betrifft, hatte die Wiener Regierung schwere Fehler gemacht.
Man hatte lange Zeit am Küstenland kein Interesse, Dalmatien wurde nahezu 100
Jahre lang wirtschaftlich sträflich vernachlässigt. Modernisierungsprogramme gab
es erst ab 1908, die italienische Amtssprache wurde erst 1912 durch Kroatisch
ersetzt, die Schwerfälligkeit der österreichischen Bürokratie tat ein Übriges.
Dazu kam eine gewisse Geringschätzung der Kroaten durch die Wiener
Gesellschaft: typisch dafür war etwa der Zeitungsherausgeber Baron
Chlumetzky. Er vertrat noch 1908 die Meinung, man müßte Dalmatien wie eine
Kolonie behandeln, weil die Führungsschicht des Landes permanent kleinliche
politische Diskussionen führe und deshalb keine Zeit finde, sich um die
Modernisierung des Landes zu kümmern.
Doch die Kroaten waren nicht nur Opfer. In den zahlreichen nationalistischen
Auseinandersetzungen in Dalmatien gab es sowohl verbale, als auch handgreifliche
Attacken gegen italienisch sprechende Dalmatiner und auch gegen Angehörige des
Königreichs Italien, vorwiegend Fischer und Seeleute.
Die Bildung der sogenannten Kroatisch-serbischen Koalition 1905 in Rijeka,
die sich zusammen mit Budapest gegen Wien verbünden sollte, verschärfte die
Beziehungen zur österreichischen Regierung, brachte den Kroaten aber wenig ein:
Ungarn hielt die meisten seiner Zusagen nicht ein und die Serben in Dalmatien
und Kroatien beteiligten sich an der Koalition nur sehr zurückhaltend.
Ein eher negatives Ergebnis war, dass Wien in der Folge alle, die sich um ein
südslawisches Zusammenwirken bemühten verdächtigte, Spione des Königreiches
Serbien zu sein.
Dass trotz der kroatisch-serbischen Koalition das Verhältnis der beiden
Bevölkerungsgruppen auch innerhalb der Monarchie nicht spannungsfrei war, zeigt
eine Episode im Wiener Reichsrat im Jahr 1909, die bei den meisten anderen
Abgeordneten auf ziemliches Unverständnis stieß.
Von den 11 dalmatinischen Abgeordneten waren neun Kroaten und zwei Serben. In
der Debatte über die Annexion von Bosnien-Herzegowina forderten die Kroaten die
Vereinigung von Bosnien und Herzegowina mit Kroatien und stellvertretend „für
die Brüder gleicher Sprache" deren Staatsbürgerschaft und eine moderne
Verfassung.
In dieser Debatte meldete sich der serbische Abgeordnete Michailo Bjeladinović
aus dem Wahlbezirk Kotor zu Wort und erklärte, dass es kein „Bosnisches
Volk" gäbe, sondern nur eine einzig richtige Benennung dieser einheimischen
Nation, „welche schon jetzt das dreizehnte Jahrhundert Bosnien und die
Herzegowina bewohnt und welche sowohl ethnographisch als auch seinem
nationalen Selbstbewußtsein nach im großen und ganzen serbisch ist und bleibt."
Dabei bilde der serbische und kroatische Volksstamm, wenn auch unter zwei Namen,
„bekanntlich eine einheitliche Nation". Er Bjeladinović jedenfalls vertraue auf die
„bewährte Kraft der serbischen Nation in Bosnien und der Herzegowina".
Daraufhin meldete sich der Kroate Josip Perić aus dem Wahlkreis Imotski und
erklärte: Die Behauptung, dass „in Bosnien und der Herzegowina im Großen und
Ganzen nur Serben leben", müsse tatsächlich berichtigt werden, weil sie „im direkten
Widerspruche mit der historischen Wahrheit und mit dem ethnographischen
Tatbestande steht".
Die Kroaten hätten Bosnien von den Awaren befreit, Bosnien hätte eines der
sieben kroatischen Banate gebildet, der Ban von Bosnien wäre einer der
Wahlfürsten der kroatischen Könige gewesen. Angesichts dieser
historischen Beweise könnte man nicht von einer serbischen Nation reden.
„Kann der Herr Abgeordnete Bjeladinović glauben, dass diese
seine kaum zeitgemäße Exkursion zur Bekräftigung der eingeleiteten brüderlichen
Verständigung zwischen Serben und Kroaten beitragen wird? Ich glaube kaum".
Man müsse wohl etwas vorsichtiger vorgehen, „um unsere kroatische Empfindlichkeit
nicht zu verletzen", erklärte Perić.
Diese unterschiedlichen und einseitig nationalistischen Argumente
haben wir 80 Jahre später wieder gehört - leider mit kriegerischen
Auswirkungen. Hier wurde wohl aus der Geschichte nichts gelernt.
Wie hat es Ingeborg Bachmann, die große österreichische Schriftstellerin
formuliert:
„Die Geschichte lehrt ständig, aber sie findet keine Schüler".
Einer der ersten, die aus der Geschichte des 1.Weltkrieges gelernt haben, war
Richard Coudenhove-Kalergi. Für ihn war dieser Krieg ein „Bürgerkrieg zwischen
Europäern“. Schon 1922 – nur vier Jahre nach dem Zerfall der Vielvölkermonarchie
– hat Coudenhove die Paneuropabewegung gegründet, als Gegenpol zu den beiden
großen politischen Strömungen Kommunismus und Nationalismus. Nur durch einen
friedlichen Zusammenschluss der europäischen Völker würde es möglich sein, einen
weiteren Krieg zu verhindern, meinte er damals. Er konnte zwar einige
Staatsmänner für seine Idee gewinnen, doch die Zeit war noch nicht reif.
Dem Nationalismus hat Coudenhove einen „Übernationalen Patriotismus“
gegenübergestellt. Am Beispiel Schweiz ist zu sehen, dass Menschen aus 25
verschiedenen Kantonen mit vier verschiedenen Sprachen, mit unterschiedlicher
Religion und Kultur mit ihrem übernationalen Schweizer Patriotismus erfolgreich
und schon viele Jahrhunderte lang in einem freien Staat zusammen leben können.
Patriotismus ist im Gegensatz zum Nationalismus teilbar. Patriotismus bedeutet,
auch anderes und andere Werte „zulassen“ – in diesem Sinn
als Gegensatz zum kompromißlosen, aggressiven und oft auch von Hass
begleiteten Nationalismus.
Der Nationalismus hat Deutschland und Österreich im 2. Weltkrieg in den
Untergang geführt und hat daher hier eine weitaus negativere Bedeutung als in
anderen Ländern. Ich denke, 1945 hätten Deutsche, Österreicher, aber auch
Italiener gerne ihre nationalen Pässe gegen Europapässe getauscht – für
Franzosen und Briten damals unvorstellbar. Vor allem in Frankreich hat es Hass
gegen die Nazimörder und Rachegefühle gegeben, ein friedliches und noch dazu
freundschaftliches Zusammenleben mit den Deutschen in einer Staatengemeinschaft
war undenkbar.
Wie man heute sieht, hat man aus der Geschichte gelernt – wenn auch zum Teil
unter äußerem Druck: zum Meinungsumschwung bei den Franzosen hat nämlich schon
bald nach dem 2. Weltkrieg auch die Erkenntnis beigetragen, dass ein lebender
Stalin mit seiner kommunistischen Expansion nach Europa gefährlicher war als ein
toter Hitler.
Österreich ist 1995 der EU beigetreten, genau 50 Jahre nach seinem
Wiederentstehen. Und auch die schonungslose Aufarbeitung seiner
Nationalsozialistischen Vergangenheit hat in Österreich so lange gedauert. Nach
dem Krieg gab es zwar Volksgerichtshofurteile gegen einige Täter - und
NS-Mitläufer wurden für einige Zeit aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen.
Aber Politiker aus beiden großen politischen Lagern, von denen ja einige
jahrelang zusammen im Konzentrationslager waren, einigten sich auf die generelle
Formel: „Österreich war Hitlers erstes Opfer und trägt keine Mitschuld".
Noch 1970 in der ersten von Bruno Kreisky gebildeten sozialistischen
Alleinregierung mußte ein Minister nach wenigen Wochen zurücktreten, weil
sich herausgestellt hatte, dass er Angehöriger der SS gewesen ist.
Es hat viele Jahre gedauert, bis das offizielle Österreich eingestanden hat,
dass unser Land nicht nur Opfer war, sondern dass es im Nationalsozialismus auch
Tausende österreichische Täter gegeben hat.
Ich denke, dass diese Aufarbeitung der Geschichte durchaus auch damit
zusammenhängt, dass es eine neue Generation von Politikern, Historikern und
Publizisten gegeben hat, die nicht mehr selbst unmittelbar aus der
nationalsozialistischen Zeit gekommen sind.
Damit hängt eine entscheidende Frage zusammen, nämlich:
wie wird die Geschichte den nächsten Generationen weiter vermittelt?
Im konkreten Fall hat es Gott sei Dank noch unzählige Zeitzeugen gegeben, die
zu befragen waren. Es gab umfangreiche Literatur und zusätzlich wurden viele zur
Zeit des Kommunismus nicht zugängliche Archive geöffnet. Das hat dazu geführt,
dass trotz der offiziellen „Opfer-These" immer öfter auch nach den Tätern
gefragt wurde.
Auch hier wurde leider nicht immer nur objektiv vorgegangen. Da wurden die
Großeltern nicht nur gefragt: wo warst Du damals, was hast Du damals gemacht?
Sondern es wurde auch nach Jahrzehnten durchaus aggressiv angeklagt: Warum hast
Du Dich damals nicht gewehrt, warum hast Du nicht Widerstand geleistet?
Es wurde ihnen sozusagen aus heutiger Sicht erklärt, wie sie sich damals
hätten richtig verhalten sollen.
Auch dies ist ein wesentlicher Aspekt für das Lernen aus der Geschichte: man
darf nicht mit den heutigen Augen und dem heutigen Wissen Handlungen oder auch
Unterlassungen in einer Epoche beurteilen oder gar richten, ohne sich über das
damalige Umfeld ausreichend zu informieren.
Bleibt also die Frage: wie viel hat Kroatien aus der leidvollen Geschichte
des 20. Jahrhunderts aufgearbeitet - und was bleibt noch zu tun?
Der Vergleich zeigt: Österreich hat 50 Jahre gebraucht.
Kroatien wird den Weg in die EU in weniger als der Hälfte dieser Zeit
zurücklegen. Bei der Aufarbeitung der Geschichte gibt es zugleich aber
wesentlich mehr Fragestellungen als im Falle Österreichs: es geht noch immer um
die nationalistisch-faschistische Ustascha-Zeit, es geht um die kommunistische
Diktatur und nicht zuletzt noch um den Krieg und die nationalistischen
Spannungen mit Serbien.
Ohne jetzt in eine historische Detaildiskussion eintreten zu wollen, stellt
sich auch hier - im Hinblick auf den notwendigen Lernprozess aus der Geschichte
- die entscheidende Frage:
Von wem und wie wird diese neuere Geschichte übermittelt?
Gibt es eine objektive Zusammenfassung der Ereignisse, gibt es eine eher
patriotische Geschichtsschreibung oder wird der nächsten Generation nicht auch
nationalistisches Gedankengut übermittelt?
Und zusätzlich stellt sich - wie auch in Österreich - die Frage: wer war
Opfer, wer war Täter?
Dass große Teile der serbischen Öffentlichkeit nach wie vor einer
nationalistischen Geschichtsschreibung anhängen, soll nicht darüber hinweg
täuschen, dass dies auch bei Teilen der kroatischen Bevölkerung der Fall ist.
Das ergibt dann oft Fragestellungen, die als solche selbst zu hinterfragen
sind, etwa: war die Ustascha nationalistisch oder faschistisch? Ich denke, in
den Anfängen war das Ziel, nämlich die unbedingte Befreiung Kroatiens von
Belgrad mit allen Mitteln, eben auch mit dem bewaffneten
Kampf, zweifellos aggressiv nationalistisch. Später kam die Ustascha, wohl
angesichts des damaligen europäischen Umfelds, in faschistisches Fahrwasser.
Diese Frage kann man als Historiker diskutieren.
Aber zum Beispiel mit der Diskussion, ob in Jasenovac 80.000 oder 200.000
Menschen ermordet worden sind, ist weder den Opfern, noch ihren Angehörigen
gedient.
Hier sei mir vor allem als Journalist eine ganz persönliche Anmerkung
erlaubt: wenn jemand statt der Formulierung „ermordet" die Formulierung „zu Tode
gekommen" verwendet oder wenn jemand darauf verweist, dass es „NUR" 60.000 Opfer
gegeben hätte, so wäre ich diesem Informanten gegenüber zumindest sehr
vorsichtig und sehr zurückhaltend.
Dass in Jasenovac dann mit ziemlicher Sicherheit von den Kommunisten weiter
gemordet wurde ändert nichts an den Taten der Ustascha und darf auch nicht
gegeneinander aufgerechnet werden.
Dass der Nationalitätenkonflikt im Tito-Kommunismus – wie es Otto von
Habsburg einmal formulierte - von einer Betondecke niedergehalten wurde, hat
nicht nur die historische Aufarbeitung behindert, sondern wohl auch zum Krieg
1991 beigetragen.
Zwei Generationen sind im Lauf von über 40 Jahren durch das kommunistische
Schulsystem geschleust und indoktriniert worden – aus der Geschichte gelernt
wurde offenbar nichts.
Was nun 1991 und die Unabhängigkeit Kroatiens betrifft, nur einige kurze
historische Anmerkungen:
Auffallend sind - wie schon 1914 - die zwei Lager: Frankreich, England und
Russland wollten Jugoslawien erhalten und waren somit in der ersten Zeit wieder
auf der Seite Serbiens. Auf der anderen Seite Österreich und Deutschland, die
Kroatien und Slowenien so rasch wie möglich anerkennen wollten. Der damalige
österreichische Außenminister Alois Mock war in dieser Zeit übrigens – wohl im
Wissen um die Geschichte - in permanenten Konsultationen mit seinem
italienischen und seinem ungarischen Kollegen.
Schon bald nach dem historischen Paneuropa - Picknick 1989 an der
österreichisch – ungarischen Grenze, bei dem ja erstmals Hunderte DDR-Bürger
einfach in den Westen „spaziert" sind, hat der damalige Präsident der
Paneuropa-Bewegung, Otto von Habsburg angemerkt, dass nun auch Slowenien und
Kroatien ihr Selbstbestimmungsrecht erhalten müssten. Diese
traditionell nach Westen ausgerichteten Völker hätten nicht
zuletzt auf Grund der relativen Reisefreiheit gute Erfahrungen mit der
Marktwirtschaft gesammelt und sollten nun „in ihre natürliche Gemeinschaft mit
den anderen alten Kulturvölkern" zurückkehren, betonte Habsburg schon damals.
Und während viele Staaten noch mit der Anerkennung Kroatiens gezögert haben,
hat Alois Mock bereits vor der nächsten sich abzeichnenden Katastrophe in
Bosnien-Herzegowina gewarnt. Er mußte damals mit Erschütterung zur Kenntnis
nehmen, wie er in seinen Erinnerungen berichtet, dass es 1991 in der
Europäischen Gemeinschaft Außenminister gegeben hat, die von der ethnischen,
religiösen und sprachlichen Zusammensetzung der Bevölkerung von
Bosnien/Herzegowina keine Ahnung hatten.
Also - wenn Entscheidungsträger schon nicht Geschichte gelernt haben, so
sollten sie zumindest von aktuellen politischen Problemen eine Ahnung haben.
Zum Krieg selbst ist anzumerken, dass wohl die Serben die Aggressoren waren
und dass daher Kroatien das Recht und die Pflicht zur Verteidigung hatte.
Vom großen französischen Mathematiker und christlichen Philosophen Blaise
Pascal stammt der Satz:
„Gewalt ohne Recht ist Tyrannei, aber Recht ohne Gewalt ist lächerlich".
Allerdings hat Pascal dabei sicherlich an Verteidigung mit Waffengewalt
gedacht und nicht an Gewalttätigkeit.
Auch hier stellt sich für Kroatien also nicht nur die Frage nach den Opfern,
sondern auch nach den Tätern. Konkret: wenn das Tribunal in Den Haag Kroaten als
Täter verurteilt, diese aber von gar nicht so wenigen Menschen in Kroatien als
Helden angesehen werden, so stößt das in anderen Ländern jedenfalls auf
Unverständnis.
Und es wird die Frage laut: sind das noch Patrioten, die auch andere
Werteinschätzungen zulassen, oder sind das nicht schon Nationalisten?
An dieser Stelle und ganz bewusst hier in diesem Rahmen noch ein Wort zur
Katholischen Kirche in Kroatien:
Sie hat natürlich in den letzten 20 Jahren die schwierige Aufgabe gehabt und
hat sie noch immer, eine im Kommunismus säkularisierte Gesellschaft zu
re-sakralisieren.
Dabei wurde und wird das Konzept einer nationalisierten Volkskirche verfolgt,
der Gedanke der kroatischen katholischen Staatlichkeit („hrvatska katolička
državotvornost“) und die Heimattreue werden besonders hervorgehoben. Auch hier
ist wohl die Frage zu stellen, ob zwar nicht Patriotismus gepredigt, aber
bewusst oder zumindest unbewusst Nationalismus transportiert wird.
Zur Erinnerung: ist es wirklich Aufgabe der Katholischen Kirche, in der
heutigen Zeit genau jene ununterbrochene kroatische Staatlichkeit zu
vertreten, die schon vor 150 Jahren je nach nationalistischer Sicht zu
Mißverständnissen und Konflikten geführt hat?
Und noch eine Frage ist zu stellen: natürlich soll und muss die Katholische
Kirche Kroatiens bei den entsprechenden Anlässen und Feiern der kroatischen
Opfer des letzten Krieges gedenken - eine universelle katholischen Kirche muß
aber wohl auch für die anderen – nicht-kroatischen Opfer beten.
Sollte dies geschehen, ist es zu begrüßen. Wenn es aber in der einen oder
anderen Diözese nicht geschieht, wäre ein Umdenken der dortigen Priester oder
auch Bischöfe dringend notwendig. Sonst würden nicht nur politische
Gruppierungen, sondern eben auch die Kirche in Kroatien ein nationalistisch
gefärbtes Geschichtsbild an die kommenden Generationen weitergeben, das meiner
Ansicht nach in einem gemeinsamen Europa nichts zu suchen hat.
In 20 Jahren werden jene jetzt noch jungen Menschen an den politischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Schaltstellen sitzen, die den letzten Krieg nur
noch aus den Erzählungen ihrer Eltern, aus Publikationen oder aus den Reden und
Handlungen von Politikern oder eben auch der Kirche kennen.
In dieser Zeit könnte es - natürlich mit gänzlich anderen Politikern an der
Spitze als heute - möglicherweise auch zu einem Beitritt Serbiens zur
Europäischen Gemeinschaft kommen.
Das wird aber nur dann vernünftig ablaufen - und das ist etwas, das wir aus
der Geschichte lernen müssen - wenn auf beiden Seiten zwar Patrioten, aber keine
Nationalisten am Werk sind. Am liebsten wären mir dabei natürlich europäische
Patrioten.
Ihnen möchte ich das Leitwort der Paneuropa-Bewegung mit auf den Weg geben -
das übrigens dem Heiligen Augustinus zugeschrieben wird:
In necessariis unitas - wo es notwendig ist: Einheit
In dubiis libertas - im Zweifel: Freiheit
In omnibus caritas - in allem aber christliche Nächstenliebe.
Literatur:
Rečki und Kukuljević, „Geschichtsverein“, kroatische Geschichtsschreibung für
Jugoslawismus als Damm gegen deutsche und italienische Kultur;
„Kroatische Geschichte“ von Smičiklas (1882): „Kroatische Existenz besteht trotz dauernder Kämpfe“.
Klaić (1878): Geographie Bosniens
Richard Coudenhove-Kalergi: Paneuropa. Ein Leben für Europa
Alois Mock: Erinnerungen
Otto von Habsburg: Politik für das Jahr 2000
Alojz Ivanisevic: Kroatische Kirche und katholisches Volk. In: Re-Sakralisierung des öffentlichen Raums
in Südosteuropa nach der Wende 1989 ? (Pro Oriente-Tagung Graz 16.- 18. 9. 2010) Peter Lang - Verlag
Frankfurt 2012. S. 147 - 166.
Funktion: als Mitglied der österreichisch-kroatischen Gesellschaft, als
journalistischer Zeitzeuge der letzen 50 Jahre, als ehemaliger Sekretär der
Paneuropabewegung und Mitarbeiter von Richard Coudenhove-Kalergi und Otto von
Habsburg - und schließlich noch als spätberufener Historiker, der in den letzten
Jahren noch ein Studium der Geschichte absolviert hat, mit den Schwerpunkten
Nationalsozialismus und dalmatinische Geschichte am Beginn des 20. Jahrhunderts.
Kroatien wird im kommenden Jahr einer demokratischen Staatengemeinschaft
beitreten und dort mit Ländern zusammen sein, mit denen es schon vor bald 100
Jahren in einem gemeinsamen Vielvölkerstaat vereint war. In diesem damaligen
Staat mit seinen Demokratiedefiziten und ohne wirkliche Selbstbestimmung der
Völker hat sich Kroatien – wohl nicht zu Unrecht - unterdrückt und als „Opfer“
gefühlt. In dieser Epoche der Hochblüte des Nationalismus bei fast allen Völkern
war die Zeit noch nicht reif für eine friedliche europäische
Staatengemeinschaft.
Kroatien hat den Vielvölkerstaat nach einem Mehrheitsbeschluss freiwillig
verlassen. Die kroatischen Protagonisten eines südslawischen Zusammenschlusses
mussten allerdings nach einigen Jahren feststellen, dass der SHS-Staat und vor
allem die anschließende Königsdiktatur alles andere als die erhoffte kroatische
Selbstbestimmung gebracht hatten. Ein südslawischer Vielvölkerstaat wurde, wie
es Otto von Habsburg einmal formuliert hat,
in einem verhängnisvollen Fehler zu einem künstlichen Nationalstaat unter
serbischer Dominanz umgefälscht.
Nun scheint es, dass Österreich, Kroatien und auch die meisten anderen
europäischen Staaten aus der schweren und opferreichen Geschichte des 20.
Jahrhunderts gelernt haben.
Bei der Vorbereitung des Vortrages wurde ich gefragt: Warum soll man
eigentlich Geschichte lernen?
Nun, das ist einerseits die Freude am Wissen - durchaus auch an
Kleinigkeiten, die zwar interessant sind aber für die heutige Zeit kaum Relevanz
haben.
Wichtiger allerdings sind Analyse und Bewertung historischer Fakten und
Entwicklungen auch im Hinblick auf ihre mögliche Bedeutung für die Gegenwart im
Sinn von Fehlervermeidung in der Zukunft.
Entscheidend dabei – und da geht es dem Historiker genauso wie dem
Journalisten – ist der Versuch einer „objektiven" Beschreibung. Das ist
natürlich nur bedingt möglich, weil jeder Mensch ja seine persönliche
Lebenserfahrung oder auch seine politischen Präferenzen hat. Wichtig ist aber
zumindest der Versuch, objektiv zu sein.
Hier sind viele Historiker in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts „sündig"
geworden: sie haben nicht geschichtliche Fakten berichtet und versucht, diese
objektiv einzuordnen, sondern sie wurden zu Handlangern des Nationalismus. Sie
haben nationalistische Geschichte geschrieben mit der Absicht, die Vergangenheit
des eigenen Volkes überhöht und heroisch darzustellen und damit das nationale
Gefühl der Menschen zu verstärken. Quellen wurden selektiv behandelt, auch
ungesicherte „Legenden" wurden als historische Wahrheiten dargestellt.
Diese nationalistisch geprägte und daher bei den einzelnen Völkern
unterschiedliche Darstellung historischer Ereignisse hat dann zu massiven
politischen Differenzen zwischen Kroaten und Österreichern geführt, ebenso
zwischen Kroaten und Ungarn, sowie natürlich zwischen Kroaten und Serben.
Einige dieser unterschiedlich bewerteten geschichtlichen Ereignisse möchte
ich kurz ansprechen, weil sie neben anderen Gründen mitverantwortlich dafür
waren, dass die meisten Kroaten vor 100 Jahren auf Wien nicht gut zu sprechen
waren – jedenfalls, wie ich hoffe, nicht so gut wie heute.
Da war zunächst einmal das Jahr 1102. Mit den sogenannten Pacta Conventa sind
die Königreiche Kroatien, Slawonien und Dalmatien eine Personalunion mit Ungarn
eingegangen.
Aus kroatischer Sicht ist der Zusammenschluß freiwillig erfolgt, aus
ungarischer Sicht wurden diese Länder jedoch erobert.
Aus den Pacta Conventa haben kroatische Historiker und mit ihnen Politiker
und auch die kroatische katholische Kirche das Dogma des ununterbrochenen
kroatischen Staatsrechts abgeleitet – als eigenständiger Staat, wenn auch mit
Ungarn verbunden.
Weiters verwiesen die kroatischen Historiker auf das Jahr 1713. Damals hatte
der Kroatische Landtag schon 10 Jahre vor Ungarn aus freiem Willen die
sogenannte Pragmatische Sanktion angenommen (mit der die Erbfolge im Haus
Habsburg neu geregelt wurde). Auch das wurde als Beweis dafür genommen, dass die
Kroaten keine Sklaven Ungarns waren.
Was dabei von kroatischer Seite allerdings nicht erwähnt wurde ist, dass
dieser kroatische Beschluss von Kaiser Karl VI. nicht sanktioniert worden ist,
weil - aus nicht-kroatischer Sicht - dem Landtag ein derartiger Beschluss nicht
zustand. Der Kaiser hat erst den ungarischen Beschluss von 1723 angenommen, in
dem das mit Ungarn verbundene Königreich Kroatien ausdrücklich eingeschlossen
war.
Gegen die kroatische Ansicht der freiwilligen Personalunion hat dann auch der
magyarische Nationalismus mobil gemacht. So etwa 1843, als im ungarischen
Reichstag eine Schrift zirkulierte mit dem Titel:
„Über Kroatien als eine durch Unterjochung erworbene ungarische Provinz".
Im Ungarisch-Kroatischen Ausgleich von 1868 ist in der kroatischen
Textversion von den Königreichen Ungarn und Kroatien die Rede – was eine gewisse
Gleichwertigkeit impliziert. Im ungarischen Text kommen dagegen keine
„Königreiche“ vor. Der Ausgleich wird als ein „gemeinsames Grundgesetz" von
Ungarn und Kroatien bezeichnet. Kroatien war aus dieser Sicht ein ungarisches
Nebenland mit bestimmten, festgelegten Autonomierechten.
Was hatte dieser Streit mit Wien zu tun? Nun, die Kroaten waren der Ansicht,
dass ihr Königreich bei wichtigen Entscheidungen der Gesamtmonarchie eingebunden
werden müsse, was Ungarn jedoch meist unterlassen hat. Nun war das Königreich
Dalmatien damals Teil der österreichischen Reichshälfte und hatte 11 Abgeordnete
im Wiener Reichsrat. Und diese Abgeordneten forderten die österreichische
Regierung immer wieder auf, vor einer Übereinkunft mit Ungarn nachzuforschen, ob
Ungarn zuvor mit Kroatien verhandelt hatte und – wenn dies wie üblich nicht der
Fall war - gegen diesen „permanenten magyarischen Gesetzesbruch", wie sie es
nannten, einzuschreiten.
Für die österreichische Regierung war das aber eine innere Angelegenheit
eines anderen Staates, nämlich Ungarns - und Wien lehnte alle diese
dalmatinischen Anträge ab.
Die gegenseitige Verärgerung war programmiert.
Das zweite große politische Streitthema war das Land Dalmatien selbst. Die
Kroaten forderten vom Kaiser und von der Wiener Regierung vehement einen
Wiederzusammenschluß des Dreieinigen Königreiches Kroatien, Slawonien und
Dalmatien, wie es 1102 bei der Personalunion mit Ungarn existiert hatte. Eine
aus heutiger Sicht völlig logische Forderung, waren doch schon damals rund 80
Prozent der dalmatinischen Bevölkerung Kroaten.
Es gab aber gegen diese kroatische Sichtweise auch historische Einwände:
schon knapp 100 Jahre nach den Pacta Conventa wurden die meisten Küstenstädte
Dalmatiens de facto von Venedig beherrscht und 1409 hat es auch de jure das
Dreieinige Königreich nicht mehr gegeben: Ladislaus von Neapel hatte Dalmatien
um 100.000 Dukaten an Venedig verkauft.
Fast 400 Jahre später brachte der Friede von Campoformio 1797 das Ende der
Republik Venedig. Venetien und mit ihm auch Dalmatien fielen an Österreich – und
zwar als Ausgleich für den Gebietsverlust der österreichischen Niederlande, dem
heutigen Belgien und Luxemburg. Dalmatien war aus diesem Grund Teil der
österreichischen Reichshälfte und konnte zumindest in den Augen der Wiener
Bürokratie nicht so einfach an Ungarn „verschenkt" werden. Noch dazu auf Grund
einer „nationalistisch überhöhten" Forderung nach einem Dreieinigen Königreich,
das es zuvor schon 400 Jahre lang nicht mehr gegeben hatte.
Die dalmatinischen Abgeordneten verlangten jedoch weiterhin die
Wiedervereinigung und nahmen ihre Angelobung im Wiener Reichsrat deshalb auch
nur unter Vorbehalt vor.
In einer sogenannten Rechtsverwahrung hielten sie fest, sie würden zwar
„in loyaler Weise an der konstitutionellen Arbeit dieses Hohen
Hauses teilnehmen", ohne damit allerdings die staatsrechtliche Stellung
Dalmatiens zu präjudizieren, wonach dieses „de jure einen Bestandteil des
Gesamtkönigreiches Kroatien bildet".
Die Wiedervereinigung war Streitthema bis zum Ende der Monarchie.
Was in Kroatien und Dalmatien für zusätzlichen Ärger sorgte, war die „Wiener
Undankbarkeit“. Schließlich war es der Banus Jelačić, der als „Oberbefehlshaber“
mit seinen Kroaten am 30. Oktober 1848 in Schwechat vor den Toren Wiens die
abgefallenen Ungarn besiegt hatte. Statt aber den Kroaten dafür Dankbarkeit zu
zeigen, gab Kaiser Franz Joseph in den Ausgleichsverhandlungen 1867 und auch
späterhin permanent den ungarischen Forderungen nach.
Ungarn forcierte den magyarischen Nationalismus, hatte „Angst“ vor einer
„südslawischen Einheit“ und beschnitt, wo es nur ging, die kroatische Autonomie.
Dem Kaiser wurde nun vorgeworfen, als kroatischer und auch als dalmatinischer
König gegen die kroatischen Interessen zu agieren. Der Vorwurf war berechtigt,
ging aber an der sogenannten Realverfassung vorbei. Wenn es um den Zusammenhalt
der Doppelmonarchie ging, waren nun einmal die Ungarn der wichtigere Partner.
Was Dalmatien betrifft, hatte die Wiener Regierung schwere Fehler gemacht.
Man hatte lange Zeit am Küstenland kein Interesse, Dalmatien wurde nahezu 100
Jahre lang wirtschaftlich sträflich vernachlässigt. Modernisierungsprogramme gab
es erst ab 1908, die italienische Amtssprache wurde erst 1912 durch Kroatisch
ersetzt, die Schwerfälligkeit der österreichischen Bürokratie tat ein Übriges.
Dazu kam eine gewisse Geringschätzung der Kroaten durch die Wiener
Gesellschaft: typisch dafür war etwa der Zeitungsherausgeber Baron
Chlumetzky. Er vertrat noch 1908 die Meinung, man müßte Dalmatien wie eine
Kolonie behandeln, weil die Führungsschicht des Landes permanent kleinliche
politische Diskussionen führe und deshalb keine Zeit finde, sich um die
Modernisierung des Landes zu kümmern.
Doch die Kroaten waren nicht nur Opfer. In den zahlreichen nationalistischen
Auseinandersetzungen in Dalmatien gab es sowohl verbale, als auch handgreifliche
Attacken gegen italienisch sprechende Dalmatiner und auch gegen Angehörige des
Königreichs Italien, vorwiegend Fischer und Seeleute.
Die Bildung der sogenannten Kroatisch-serbischen Koalition 1905 in Rijeka,
die sich zusammen mit Budapest gegen Wien verbünden sollte, verschärfte die
Beziehungen zur österreichischen Regierung, brachte den Kroaten aber wenig ein:
Ungarn hielt die meisten seiner Zusagen nicht ein und die Serben in Dalmatien
und Kroatien beteiligten sich an der Koalition nur sehr zurückhaltend.
Ein eher negatives Ergebnis war, dass Wien in der Folge alle, die sich um ein
südslawisches Zusammenwirken bemühten verdächtigte, Spione des Königreiches
Serbien zu sein.
Dass trotz der kroatisch-serbischen Koalition das Verhältnis der beiden
Bevölkerungsgruppen auch innerhalb der Monarchie nicht spannungsfrei war, zeigt
eine Episode im Wiener Reichsrat im Jahr 1909, die bei den meisten anderen
Abgeordneten auf ziemliches Unverständnis stieß.
Von den 11 dalmatinischen Abgeordneten waren neun Kroaten und zwei Serben. In
der Debatte über die Annexion von Bosnien-Herzegowina forderten die Kroaten die
Vereinigung von Bosnien und Herzegowina mit Kroatien und stellvertretend „für
die Brüder gleicher Sprache" deren Staatsbürgerschaft und eine moderne
Verfassung.
In dieser Debatte meldete sich der serbische Abgeordnete Michailo Bjeladinović
aus dem Wahlbezirk Kotor zu Wort und erklärte, dass es kein „Bosnisches
Volk" gäbe, sondern nur eine einzig richtige Benennung dieser einheimischen
Nation, „welche schon jetzt das dreizehnte Jahrhundert Bosnien und die
Herzegowina bewohnt und welche sowohl ethnographisch als auch seinem
nationalen Selbstbewußtsein nach im großen und ganzen serbisch ist und bleibt."
Dabei bilde der serbische und kroatische Volksstamm, wenn auch unter zwei Namen,
„bekanntlich eine einheitliche Nation". Er Bjeladinović jedenfalls vertraue auf die
„bewährte Kraft der serbischen Nation in Bosnien und der Herzegowina".
Daraufhin meldete sich der Kroate Josip Perić aus dem Wahlkreis Imotski und
erklärte: Die Behauptung, dass „in Bosnien und der Herzegowina im Großen und
Ganzen nur Serben leben", müsse tatsächlich berichtigt werden, weil sie „im direkten
Widerspruche mit der historischen Wahrheit und mit dem ethnographischen
Tatbestande steht".
Die Kroaten hätten Bosnien von den Awaren befreit, Bosnien hätte eines der
sieben kroatischen Banate gebildet, der Ban von Bosnien wäre einer der
Wahlfürsten der kroatischen Könige gewesen. Angesichts dieser
historischen Beweise könnte man nicht von einer serbischen Nation reden.
„Kann der Herr Abgeordnete Bjeladinović glauben, dass diese
seine kaum zeitgemäße Exkursion zur Bekräftigung der eingeleiteten brüderlichen
Verständigung zwischen Serben und Kroaten beitragen wird? Ich glaube kaum".
Man müsse wohl etwas vorsichtiger vorgehen, „um unsere kroatische Empfindlichkeit
nicht zu verletzen", erklärte Perić.
Diese unterschiedlichen und einseitig nationalistischen Argumente
haben wir 80 Jahre später wieder gehört - leider mit kriegerischen
Auswirkungen. Hier wurde wohl aus der Geschichte nichts gelernt.
Wie hat es Ingeborg Bachmann, die große österreichische Schriftstellerin
formuliert:
„Die Geschichte lehrt ständig, aber sie findet keine Schüler".
Einer der ersten, die aus der Geschichte des 1.Weltkrieges gelernt haben, war
Richard Coudenhove-Kalergi. Für ihn war dieser Krieg ein „Bürgerkrieg zwischen
Europäern“. Schon 1922 – nur vier Jahre nach dem Zerfall der Vielvölkermonarchie
– hat Coudenhove die Paneuropabewegung gegründet, als Gegenpol zu den beiden
großen politischen Strömungen Kommunismus und Nationalismus. Nur durch einen
friedlichen Zusammenschluss der europäischen Völker würde es möglich sein, einen
weiteren Krieg zu verhindern, meinte er damals. Er konnte zwar einige
Staatsmänner für seine Idee gewinnen, doch die Zeit war noch nicht reif.
Dem Nationalismus hat Coudenhove einen „Übernationalen Patriotismus“
gegenübergestellt. Am Beispiel Schweiz ist zu sehen, dass Menschen aus 25
verschiedenen Kantonen mit vier verschiedenen Sprachen, mit unterschiedlicher
Religion und Kultur mit ihrem übernationalen Schweizer Patriotismus erfolgreich
und schon viele Jahrhunderte lang in einem freien Staat zusammen leben können.
Patriotismus ist im Gegensatz zum Nationalismus teilbar. Patriotismus bedeutet,
auch anderes und andere Werte „zulassen“ – in diesem Sinn
als Gegensatz zum kompromißlosen, aggressiven und oft auch von Hass
begleiteten Nationalismus.
Der Nationalismus hat Deutschland und Österreich im 2. Weltkrieg in den
Untergang geführt und hat daher hier eine weitaus negativere Bedeutung als in
anderen Ländern. Ich denke, 1945 hätten Deutsche, Österreicher, aber auch
Italiener gerne ihre nationalen Pässe gegen Europapässe getauscht – für
Franzosen und Briten damals unvorstellbar. Vor allem in Frankreich hat es Hass
gegen die Nazimörder und Rachegefühle gegeben, ein friedliches und noch dazu
freundschaftliches Zusammenleben mit den Deutschen in einer Staatengemeinschaft
war undenkbar.
Wie man heute sieht, hat man aus der Geschichte gelernt – wenn auch zum Teil
unter äußerem Druck: zum Meinungsumschwung bei den Franzosen hat nämlich schon
bald nach dem 2. Weltkrieg auch die Erkenntnis beigetragen, dass ein lebender
Stalin mit seiner kommunistischen Expansion nach Europa gefährlicher war als ein
toter Hitler.
Österreich ist 1995 der EU beigetreten, genau 50 Jahre nach seinem
Wiederentstehen. Und auch die schonungslose Aufarbeitung seiner
Nationalsozialistischen Vergangenheit hat in Österreich so lange gedauert. Nach
dem Krieg gab es zwar Volksgerichtshofurteile gegen einige Täter - und
NS-Mitläufer wurden für einige Zeit aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen.
Aber Politiker aus beiden großen politischen Lagern, von denen ja einige
jahrelang zusammen im Konzentrationslager waren, einigten sich auf die generelle
Formel: „Österreich war Hitlers erstes Opfer und trägt keine Mitschuld".
Noch 1970 in der ersten von Bruno Kreisky gebildeten sozialistischen
Alleinregierung mußte ein Minister nach wenigen Wochen zurücktreten, weil
sich herausgestellt hatte, dass er Angehöriger der SS gewesen ist.
Es hat viele Jahre gedauert, bis das offizielle Österreich eingestanden hat,
dass unser Land nicht nur Opfer war, sondern dass es im Nationalsozialismus auch
Tausende österreichische Täter gegeben hat.
Ich denke, dass diese Aufarbeitung der Geschichte durchaus auch damit
zusammenhängt, dass es eine neue Generation von Politikern, Historikern und
Publizisten gegeben hat, die nicht mehr selbst unmittelbar aus der
nationalsozialistischen Zeit gekommen sind.
Damit hängt eine entscheidende Frage zusammen, nämlich:
wie wird die Geschichte den nächsten Generationen weiter vermittelt?
Im konkreten Fall hat es Gott sei Dank noch unzählige Zeitzeugen gegeben, die
zu befragen waren. Es gab umfangreiche Literatur und zusätzlich wurden viele zur
Zeit des Kommunismus nicht zugängliche Archive geöffnet. Das hat dazu geführt,
dass trotz der offiziellen „Opfer-These" immer öfter auch nach den Tätern
gefragt wurde.
Auch hier wurde leider nicht immer nur objektiv vorgegangen. Da wurden die
Großeltern nicht nur gefragt: wo warst Du damals, was hast Du damals gemacht?
Sondern es wurde auch nach Jahrzehnten durchaus aggressiv angeklagt: Warum hast
Du Dich damals nicht gewehrt, warum hast Du nicht Widerstand geleistet?
Es wurde ihnen sozusagen aus heutiger Sicht erklärt, wie sie sich damals
hätten richtig verhalten sollen.
Auch dies ist ein wesentlicher Aspekt für das Lernen aus der Geschichte: man
darf nicht mit den heutigen Augen und dem heutigen Wissen Handlungen oder auch
Unterlassungen in einer Epoche beurteilen oder gar richten, ohne sich über das
damalige Umfeld ausreichend zu informieren.
Bleibt also die Frage: wie viel hat Kroatien aus der leidvollen Geschichte
des 20. Jahrhunderts aufgearbeitet - und was bleibt noch zu tun?
Der Vergleich zeigt: Österreich hat 50 Jahre gebraucht.
Kroatien wird den Weg in die EU in weniger als der Hälfte dieser Zeit
zurücklegen. Bei der Aufarbeitung der Geschichte gibt es zugleich aber
wesentlich mehr Fragestellungen als im Falle Österreichs: es geht noch immer um
die nationalistisch-faschistische Ustascha-Zeit, es geht um die kommunistische
Diktatur und nicht zuletzt noch um den Krieg und die nationalistischen
Spannungen mit Serbien.
Ohne jetzt in eine historische Detaildiskussion eintreten zu wollen, stellt
sich auch hier - im Hinblick auf den notwendigen Lernprozess aus der Geschichte
- die entscheidende Frage:
Von wem und wie wird diese neuere Geschichte übermittelt?
Gibt es eine objektive Zusammenfassung der Ereignisse, gibt es eine eher
patriotische Geschichtsschreibung oder wird der nächsten Generation nicht auch
nationalistisches Gedankengut übermittelt?
Und zusätzlich stellt sich - wie auch in Österreich - die Frage: wer war
Opfer, wer war Täter?
Dass große Teile der serbischen Öffentlichkeit nach wie vor einer
nationalistischen Geschichtsschreibung anhängen, soll nicht darüber hinweg
täuschen, dass dies auch bei Teilen der kroatischen Bevölkerung der Fall ist.
Das ergibt dann oft Fragestellungen, die als solche selbst zu hinterfragen
sind, etwa: war die Ustascha nationalistisch oder faschistisch? Ich denke, in
den Anfängen war das Ziel, nämlich die unbedingte Befreiung Kroatiens von
Belgrad mit allen Mitteln, eben auch mit dem bewaffneten
Kampf, zweifellos aggressiv nationalistisch. Später kam die Ustascha, wohl
angesichts des damaligen europäischen Umfelds, in faschistisches Fahrwasser.
Diese Frage kann man als Historiker diskutieren.
Aber zum Beispiel mit der Diskussion, ob in Jasenovac 80.000 oder 200.000
Menschen ermordet worden sind, ist weder den Opfern, noch ihren Angehörigen
gedient.
Hier sei mir vor allem als Journalist eine ganz persönliche Anmerkung
erlaubt: wenn jemand statt der Formulierung „ermordet" die Formulierung „zu Tode
gekommen" verwendet oder wenn jemand darauf verweist, dass es „NUR" 60.000 Opfer
gegeben hätte, so wäre ich diesem Informanten gegenüber zumindest sehr
vorsichtig und sehr zurückhaltend.
Dass in Jasenovac dann mit ziemlicher Sicherheit von den Kommunisten weiter
gemordet wurde ändert nichts an den Taten der Ustascha und darf auch nicht
gegeneinander aufgerechnet werden.
Dass der Nationalitätenkonflikt im Tito-Kommunismus – wie es Otto von
Habsburg einmal formulierte - von einer Betondecke niedergehalten wurde, hat
nicht nur die historische Aufarbeitung behindert, sondern wohl auch zum Krieg
1991 beigetragen.
Zwei Generationen sind im Lauf von über 40 Jahren durch das kommunistische
Schulsystem geschleust und indoktriniert worden – aus der Geschichte gelernt
wurde offenbar nichts.
Was nun 1991 und die Unabhängigkeit Kroatiens betrifft, nur einige kurze
historische Anmerkungen:
Auffallend sind - wie schon 1914 - die zwei Lager: Frankreich, England und
Russland wollten Jugoslawien erhalten und waren somit in der ersten Zeit wieder
auf der Seite Serbiens. Auf der anderen Seite Österreich und Deutschland, die
Kroatien und Slowenien so rasch wie möglich anerkennen wollten. Der damalige
österreichische Außenminister Alois Mock war in dieser Zeit übrigens – wohl im
Wissen um die Geschichte - in permanenten Konsultationen mit seinem
italienischen und seinem ungarischen Kollegen.
Schon bald nach dem historischen Paneuropa - Picknick 1989 an der
österreichisch – ungarischen Grenze, bei dem ja erstmals Hunderte DDR-Bürger
einfach in den Westen „spaziert" sind, hat der damalige Präsident der
Paneuropa-Bewegung, Otto von Habsburg angemerkt, dass nun auch Slowenien und
Kroatien ihr Selbstbestimmungsrecht erhalten müssten. Diese
traditionell nach Westen ausgerichteten Völker hätten nicht
zuletzt auf Grund der relativen Reisefreiheit gute Erfahrungen mit der
Marktwirtschaft gesammelt und sollten nun „in ihre natürliche Gemeinschaft mit
den anderen alten Kulturvölkern" zurückkehren, betonte Habsburg schon damals.
Und während viele Staaten noch mit der Anerkennung Kroatiens gezögert haben,
hat Alois Mock bereits vor der nächsten sich abzeichnenden Katastrophe in
Bosnien-Herzegowina gewarnt. Er mußte damals mit Erschütterung zur Kenntnis
nehmen, wie er in seinen Erinnerungen berichtet, dass es 1991 in der
Europäischen Gemeinschaft Außenminister gegeben hat, die von der ethnischen,
religiösen und sprachlichen Zusammensetzung der Bevölkerung von
Bosnien/Herzegowina keine Ahnung hatten.
Also - wenn Entscheidungsträger schon nicht Geschichte gelernt haben, so
sollten sie zumindest von aktuellen politischen Problemen eine Ahnung haben.
Zum Krieg selbst ist anzumerken, dass wohl die Serben die Aggressoren waren
und dass daher Kroatien das Recht und die Pflicht zur Verteidigung hatte.
Vom großen französischen Mathematiker und christlichen Philosophen Blaise
Pascal stammt der Satz:
„Gewalt ohne Recht ist Tyrannei, aber Recht ohne Gewalt ist lächerlich".
Allerdings hat Pascal dabei sicherlich an Verteidigung mit Waffengewalt
gedacht und nicht an Gewalttätigkeit.
Auch hier stellt sich für Kroatien also nicht nur die Frage nach den Opfern,
sondern auch nach den Tätern. Konkret: wenn das Tribunal in Den Haag Kroaten als
Täter verurteilt, diese aber von gar nicht so wenigen Menschen in Kroatien als
Helden angesehen werden, so stößt das in anderen Ländern jedenfalls auf
Unverständnis.
Und es wird die Frage laut: sind das noch Patrioten, die auch andere
Werteinschätzungen zulassen, oder sind das nicht schon Nationalisten?
An dieser Stelle und ganz bewusst hier in diesem Rahmen noch ein Wort zur
Katholischen Kirche in Kroatien:
Sie hat natürlich in den letzten 20 Jahren die schwierige Aufgabe gehabt und
hat sie noch immer, eine im Kommunismus säkularisierte Gesellschaft zu
re-sakralisieren.
Dabei wurde und wird das Konzept einer nationalisierten Volkskirche verfolgt,
der Gedanke der kroatischen katholischen Staatlichkeit („hrvatska katolička
državotvornost“) und die Heimattreue werden besonders hervorgehoben. Auch hier
ist wohl die Frage zu stellen, ob zwar nicht Patriotismus gepredigt, aber
bewusst oder zumindest unbewusst Nationalismus transportiert wird.
Zur Erinnerung: ist es wirklich Aufgabe der Katholischen Kirche, in der
heutigen Zeit genau jene ununterbrochene kroatische Staatlichkeit zu
vertreten, die schon vor 150 Jahren je nach nationalistischer Sicht zu
Mißverständnissen und Konflikten geführt hat?
Und noch eine Frage ist zu stellen: natürlich soll und muss die Katholische
Kirche Kroatiens bei den entsprechenden Anlässen und Feiern der kroatischen
Opfer des letzten Krieges gedenken - eine universelle katholischen Kirche muß
aber wohl auch für die anderen – nicht-kroatischen Opfer beten.
Sollte dies geschehen, ist es zu begrüßen. Wenn es aber in der einen oder
anderen Diözese nicht geschieht, wäre ein Umdenken der dortigen Priester oder
auch Bischöfe dringend notwendig. Sonst würden nicht nur politische
Gruppierungen, sondern eben auch die Kirche in Kroatien ein nationalistisch
gefärbtes Geschichtsbild an die kommenden Generationen weitergeben, das meiner
Ansicht nach in einem gemeinsamen Europa nichts zu suchen hat.
In 20 Jahren werden jene jetzt noch jungen Menschen an den politischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Schaltstellen sitzen, die den letzten Krieg nur
noch aus den Erzählungen ihrer Eltern, aus Publikationen oder aus den Reden und
Handlungen von Politikern oder eben auch der Kirche kennen.
In dieser Zeit könnte es - natürlich mit gänzlich anderen Politikern an der
Spitze als heute - möglicherweise auch zu einem Beitritt Serbiens zur
Europäischen Gemeinschaft kommen.
Das wird aber nur dann vernünftig ablaufen - und das ist etwas, das wir aus
der Geschichte lernen müssen - wenn auf beiden Seiten zwar Patrioten, aber keine
Nationalisten am Werk sind. Am liebsten wären mir dabei natürlich europäische
Patrioten.
Ihnen möchte ich das Leitwort der Paneuropa-Bewegung mit auf den Weg geben -
das übrigens dem Heiligen Augustinus zugeschrieben wird:
In necessariis unitas - wo es notwendig ist: Einheit
In dubiis libertas - im Zweifel: Freiheit
In omnibus caritas - in allem aber christliche Nächstenliebe.
Literatur:
Rečki und Kukuljević, „Geschichtsverein“, kroatische Geschichtsschreibung für
Jugoslawismus als Damm gegen deutsche und italienische Kultur;
„Kroatische Geschichte“ von Smičiklas (1882): „Kroatische Existenz besteht trotz dauernder Kämpfe“.
Klaić (1878): Geographie Bosniens
Richard Coudenhove-Kalergi: Paneuropa. Ein Leben für Europa
Alois Mock: Erinnerungen
Otto von Habsburg: Politik für das Jahr 2000
Alojz Ivanisevic: Kroatische Kirche und katholisches Volk. In: Re-Sakralisierung des öffentlichen Raums
in Südosteuropa nach der Wende 1989 ? (Pro Oriente-Tagung Graz 16.- 18. 9. 2010) Peter Lang - Verlag
Frankfurt 2012. S. 147 - 166.