Die Nationalsozialistische - Staatsjugend auf dem Weg in
die „vaterlose Gesellschaft"?
Forschungsseminar bei Univ. Prof. Dr. Reinhard Sieder (2007)
Einleitung
Die generelle NS–Einflussnahme auf die Jugend
Gegen den Vater gerichtete Elemente der NS-Erziehung und Jugendarbeit
Grundsätze des nationalsozialistischen Bildungssystems
Der „Führer" – ein „Supervater" ?
Die körperliche und kommunikative Entfremdung
Die „vaterlosen" Eliteschüler
Die „Selbsterziehung" – eine nationalsozialistische Weiterentwicklung
Schlusswort
Literatur
Anhang Interviewabschrift Picker
Interviewabschrift Salzer
Abbildung: Gedicht – „Mein Führer"
Einleitung
Der Einstieg in die Forschungsarbeit bestand zunächst in zwei generellen Fragestellungen:
Wie und in welchen Teilbereichen hat sich die nationalsozialistische
Jugendarbeit gegen „die Väter" gerichtet?
Wurden dabei – wenn auch unter totalitären Vorzeichen - „moderne Tendenzen"
antizipiert?
Nach umfangreichem Literaturstudium musste aus Machbarkeitsgründen die
Fragestellung eingeschränkt werden, und zwar auf die Teilbereiche:
Die „Installierung eines Super-Vaters" ?
Die Entfremdung in Form der „Selbsterziehung" bzw. „Erziehung durch Gleichaltrige" ?
Die Entfremdung durch verstärkte körperliche und kommunikative Distanz ? 1)
Zugleich konnte die nachfolgende These formuliert werden: Der Weg in die
„Vaterlose Gesellschaft" wurde n u r in Ansätzen – und unter anderen Vorzeichen
als heute - bereits im nationalsozialistischen Deutschland der Dreißigerjahre
beschritten, wobei es im Erziehungsbereich durchaus modernistische Tendenzen
gab.
In der zahlreich vorhandenen Literatur vor allem zu den Themen
Nationalpolitische Erziehungsanstalten (NPEA, NAPOLA), Adolf Hitler – Schulen
(AHS), Hitlerjugend und – ziemlich intensiv untersucht – BDM (Bund deutscher
Mädchen) sind Erziehungswesen und nationalsozialistische Jugendarbeit gut
dokumentiert. In der Forschungsarbeit soll angesichts der heute nicht nur
diskutierten, sondern in den letzten Jahrzehnten sich zunehmend realisierenden
„Vaterlosen Gesellschaft" die Frage beantwortet werden, wie weit die heutigen
„vaterlosen Söhne" schon in den totalitären Dreißiger- und Vierzigerjahren ihre
Vorläufer hatten.
Wenn man Mitscherlich 2) folgt, dass mit dem Ende der väterlichen Unterweisung
in der Landwirtschaft und im Handwerk die Entfremdung Sohn / Vater ihren Ausgang
genommen hat, so waren schon für die damalige Zeit entsprechende Tendenzen zu
erwarten. Wie allerdings die nationalsozialistische Jugend- und Erziehungspolitik mit
diesem Phänomen umgegangen ist und mit welchen zum Teil subtilen Maßnahmen sie
versuchte, die Söhne den Vätern weiter zu entfremden (bzw. generell die Kinder dem
Elternhaus) und ganz für sich und ihre Politik zu gewinnen, soll in dieser Forschungsarbeit
an Hand der drei Fragestellungen untersucht werden.
Neben der Auswertung von Dokumenten und Veröffentlichen aus der
nationalsozialistischen Zeit selbst, sowie entsprechender Sekundärliteratur wird
in der Arbeit wesentliches Augenmerk auf schriftliche und mündliche
Zeitzeugenberichte gelegt. Zusätzlich zur Auswertung bereits veröffentlichter
Zeitzeugenberichte im Hinblick auf die gewählte Fragestellung wurden noch zwei
längere Video–Interviews geführt und schriftlich dokumentiert. Und zwar mit Dr.
Richard Picker, Jahrgang 1933, aus einer „gläubigen nationalsozialistischen
Familie" (Eigendefinition) und von 1943 bis 1945 Napola -Schüler in Traiskirchen
und mit Erich Salzer, Jahrgang 1926, („Vater ein alter Sozi"), 1938 Schüler in
einer „normalen" Mittelschule und „zunächst begeisterter" Hitlerjunge, später an
einer Handelsschule (und „schon weniger begeistert"), danach Soldat in
Frankreich.
Die generelle NS- Einflussnahme auf die Jugend
Grundsätzlich war die NS-Jugendarbeit darauf ausgerichtet, die „mit der Schulpflicht
verbundenen Elternpflichten auszuweiten und in steigendem Ausmaß zu übernehmen" 3)
bis zur „Zerstörung der privaten Welt"4). Alle Komponenten sollten auf die neue Macht
zentriert werden, hergebrachte Rechte wurden abgebaut, der traditionell mit Autorität
ausgestattete Vater bekam eine „höhere Instanz" vorgesetzt, den Führer, dem es blind
zu vertrauen und widerspruchslos zu gehorchen galt.
Zwar wurde die Wichtigkeit der Familie als kleinste Einheit der "Volksgemeinschaft" hervor
gestrichen 5) - allerdings nur dort und in der Form, wo sie dem „Volkskörper" im
Nationalsozialistischen Sinn dienlich war. Dies war bei einer staatlich normierten
schulischen und auch außerschulischen Erziehung, bei der es um Indoktrinierung,
Umerziehung und Umformung ging, überwiegend nicht der Fall. Hitler: „Das geht
nicht von heute auf morgen ... s o w i e i c h e s g e r n h a b e n m ö c h t e". Es würde
20 Jahre dauern, „um die Menschen nach meiner Politik zu formen". 6)
Im Zentrum stand Erziehung zum Gruppenbewusstsein statt zum individuellen Denken.
Gezielte Steuerung und spätere „Übernahme" des Jungen brachten oftmals Entfremdung
mit dem Elternhaus. Der Junge wurde mit einer einseitigen „Wert-Erziehung" („Tyrannei der
Werte") 7) konfrontiert, bei der Ehre, Treue, Tapferkeit, „Gerechtigkeit", „Wahrhaftigkeit" und
„Auslese" auf rein rassisch-völkische Werte verengt wurden. Begriffe wie Toleranz, Liebe,
Barmherzigkeit und Demut hatten in diesem „Wertesystem" keinen Platz.
Gegen den Vater gerichtete Elemente der NS- Erziehung und Jugendarbeit:
Je nach Schultyp kam es zu einer mehr oder weniger großen „zeitmäßigen
Entfremdung" (der Junge sollte nicht mehr „unkontrolliert" über Zeit verfügen
und sich daher überwiegend im geplanten nationalsozialistischen Erziehungsraum
bewegen), in Internatsschulen wurde die ohnedies bereits gegebene Distanz oft
noch durch längere Abwesenheit verstärkt (Landjahr, „Manöver", Flak-Helfer,
Ernte-Einsatz, Gruben-Dienst). Dazu kamen im steigenden Maß Eingriffe der Hitler -
Jugend im außerschulischen Bereich (bei Mädchen geschah dies im Rahmen des
Bundes Deutscher Mädchen). Durch ausgedehnte Aktivitäten in den Nachmittags- und
Abendstunden, sowie an Wochenenden wurde den Eltern zunehmend die
Zugriffsmöglichkeit auf ihre Kinder entzogen.
Wichtig im nationalsozialistischen Erziehungssystem war die „gefühlsmäßige
Entfremdung": mit Hilfe der bei den „zahlreichen Feiern entbundenen irrationalen
Kräfte konnte von der Seele des jungen Menschen Besitz ergriffen werden". 8)
Einer der schwerwiegendsten Eingriffe in die Vater – Sohn ( bzw. allgemein
Eltern – Kind) – Beziehung erfolgte mit der Errichtung einer absoluten
„Kritik-Grenze", die in Bezug auf den „ Führer" unter keinen Umständen
überschritten werden durfte, auch nicht vom Vater. Zugleich wurde den Kindern
unter dem Titel „Denunzierung" eine neue Art vom Machtpotential gegenüber den
Eltern in die Hand gegeben, das allerdings mit der ausdrücklichen Aufforderung,
„Fehlverhalten" der Eltern melden „zu müssen", auch den Jungen selbst gewaltige
Probleme im Spannungsfeld Vater- und Elternliebe einerseits, sowie „Verpflichtung
gegenüber dem Führer und dem Reich" andererseits bereitete.
Vor allem in den NPEA- und Adolf Hitler Schulen wurde zwar bewusst, für die
Jungen aber oftmals nicht erkennbar, der eigene Vater als Leitfigur in den
Hintergrund gedrängt und zwar durch die oftmalige Konfrontation der Schüler mit
„heroischen Ersatzvätern". Immer wieder wurden etwa Ritterkreuzträger (meist
verwundet und daher nicht mehr fronttauglich) zu Vorträgen eingeladen und den
Jungen als nachstrebenswerte Idole präsentiert.
Auch in der Gegenrichtung kam es zur Entfremdung zwischen Vätern und Söhnen.
Und zwar dort, wo sich überzeugte NS-Väter durch ihre nicht erfolgreichen, „zu
schwachen" Söhne enttäuscht fühlten.
Schließlich erfolgten gegen Ende der 30-er Jahre zunehmend die Versuche der
Nationalsozialisten, die Jungen auch gegen den Willen des Elternhauses zum
Kirchenaustritt zu bewegen.
Vater-entfremdend war auch das (im Sinne von Mitscherlich) durchaus
modernistische System der „Erziehung durch Gleichaltrige" (das noch näher
untersucht wird), eine Mischung aus traditionell autoritären Elementen mit einem
„other-directed"- Vorläufer, bei der nur unwesentlich ältere Erzieher die Jungen
als mittätige Vorbilder unterwiesen. Teile des "Lernens" erfolgten in der
vorbildhaften Unterweisung der Handhabung 9)
Durchaus „modern" waren dabei auch die Dienste auf dem Land, ebenfalls mit
praktischen Vorführungen und praktischer Mitarbeit. 10)
Dass der Sohn im Zuge der „körperlichen Ertüchtigung" in der Napola oder AHS
auch Fertigkeiten erwerben konnte, die der Vater nicht beherrschte (nicht
beherrschen konnte, etwa Segelfliegen) fällt ebenfalls in die Kategorie „subtile
Zurückdrängung des Vorbildes Vater".
Ein weiteres sozial-modernistisches Element, das zur Entfremdung von Vätern
und Söhnen beitragen konnte, war die Möglichkeit der höheren Bildung für begabte
Arbeiter- und Bauernkinder (später auch gegen den Willen der Väter). Wobei hier
auch noch ein materieller Ansatz insofern erfolgte, als ohne das nationalsozialistische
System der Chancengleichheit „deren Eltern es niemals bezahlen könnten, dass ihre
Kinder ein höheres Studium mitmachen". 11)
Grundsätze des nationalsozialistischen Bildungssystems
Die Grundsätze basieren im Wesentlichen auf den Überlegungen Hitlers in „Mein Kampf",
die „gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einpumpen bloßen Wissens
einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie
kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten". 12) Die Bildungs- und
Erziehungsarbeit müsse „ihre Krönung darin finden, dass sie den Rassesinn und das
Rassegefühl instinkt- und verstandesmäßig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten
Jugend h i n e i n b r e n n t".13) "Vollendet" soll diese Erziehung im Heeresdienst
werden, "wie denn überhaupt die Militärdienstzeit als Abschluss der n o r m a l e n
Erziehung des durchschnittlichen Deutschen gelten soll". 14)
Im Dritten Reich kam es damit zu einer Militarisierung der Erziehung – in
gewisser Weise auch bei den Mädchen – und es wurde de facto ein „totaler
Erziehungsstaat" errichtet. Nicht nur im schulischen Bereich – auch mit den
„neuen Eliteschulen" Napola und AHS - sondern auch im außerschulischen Bereich
mit HJ und BDM. Die nationalsozialistische Besonderheit lag dabei nicht so sehr
bei den Organisationsformen, Lernzielen und Lernmöglichkeiten, sondern darin,
dass „Erziehung in einem Ausmaß g e p l a n t wird, wie es bis dato in
Deutschland nicht beobachtbar war, zudem mit Mechanismen, die unverkennbar den
Anspruch des nationalsozialistischen Staates zeigen". 15) Dem Ziel „Erziehung zum
Soldatischen, zum Kämpfer für das Reich" 16) war – verbunden mit dem „Führerkult" -
alles untergeordnet.
Es wurden alle Mittel des totalitären Staates eingesetzt, um das „System" zu
zentralisieren, die Lerninhalte und die Lehrerauswahl zu vereinheitlichen, die
Jugend zu formen statt zu erziehen und sie so weit wie möglich ihrer
„unkontrollierten Freizeit" zu berauben.
Dazu kamen die neue Gewichtung der Unterrichtsfächer (in Richtung mehr
körperliche Ertüchtigung), der Versuch einer Vereinheitlichung durch Rituale und
Uniformierung, sowie generell ein Abgehen von der Bildung in Richtung
Willens- und Charakterschulung und eine Verschiebung in Richtung „Glaube
statt Diskussion". 17)
Die in der nationalsozialistischen Erziehungspolitik zweifellos feststellbaren
Modernisierungstendenzen haben in den meisten Fällen jedoch auf überwiegend
konservativen Modellen aufgebaut.
Etwa die Napola als „Nachfolger" der früheren Kadettenschulen: so haben auf
der unter Kaiser Wilhelm II. im Dezember 1890 stattgefundenen Schulkonferenz die
Vertreter des Kriegsministeriums eine Senkung der täglichen Lernzeit zugunsten
sportlicher Betätigung verlangt, weil sonst die „ehrfähigkeit ernsthaft
gefährdet" sei. Vorrangiges Ziel der Schule müsse sein, „in frisches, gesundes,
thatenlustiges und thatenkräftiges Volk zu erziehen". 18)
Dass die Napola auch Anleihen am englischen „ublic-School-System" nahm (wenn
auch nicht bei der Aufnahme der Zöglinge nach finanziellen Kriterien), wurde vom
„offiziellen (NS -) Deutschland" erst nach dem Kriegsbeginn in Abrede gestellt. „Die
Public Schools sind also ausgesprochenermaßen Prägeformen, in denen der
Einzelschüler zu einem einheitlichen nationalen Typ der gebundenen Lebensform
gebildet wird. Unsere neuesten deutschen Erziehungsbestrebungen ..... laufen,
wie mir scheint, auf die Nutzbarmachung ganz ähnlicher Erziehungsgrundsätze
hinaus." 19)
Auch Rückgriffe auf die Jugendbewegung 20) und frühere Theorien von
„Gemeinschaft" und „Männlichkeit" sind deutlich erkennbar. Der Inspekteur der
Landesverwaltung, Haupt, seit seinem Eintritt in die Freikorps ein Vertreter
männerbündischer Ideen sah im Internatsleben einen Bund. Und wenn zu diesem Bund
„ein Führer, eine freiwillige Gefolgschaft und ein Kampfziel gehören, dann muss
alles dies ein Ziel sein für die Umbildungsarbeit in der heutigen Schule".21)
Bei dem von Hitler vorgegebenen Bemühen, die Dominanz der Bildung vor der
Erziehung zurückzudrängen hat das NS-System nicht auf einer neuen
Erziehungstheorie aufgebaut, sondern national-konservative Vorstellungen – wenn
auch mit „modernen" Umsetzungsmethoden - reaktiviert. Ein „Rückgriff ins 19.
Jahrhundert 22)".
Die praktische Umsetzung der neuen Erziehungs- und Bildungsziele ist im
totalitären NS-Staat aber keineswegs einheitlich erfolgt. Ein eindeutiges Konzept
wird laut Tenorth 23) erst nach 1936 sichtbar bei der Struktur des Bildungssystems,
bei den Lehrplänen, beim Personal und auch beim Versuch, den Kontrollanspruch
des NS-Staates auf den außerschulischen Bereich auszudehnen – nicht nur bei der
Jugend, sondern auch in der Erwachsenenbildung und im Fürsorgebereich.
Dass es auch im Bildungsbereich Machtkämpfe und Zuständigkeitskonflikte zwischen
Ministerium, Parteiapparat, SS-Dienststellen und deren jeweiligen Funktionären gab,
entsprach dem Führungsstil Hitlers. In dem für „das nationalsozialistische
Herrschaftssystem charakteristischen Verwaltungschaos" 24) konnte er bei
Kompetenzstreitigkeiten „schlichtend" und persönlich entscheidend eingreifen. So
gelang es Himmler im Verlauf einiger Jahre, die Zuständigkeit für die Napolas dem
Reichserziehungsminister Rust zu entziehen und auch Begehrlichkeiten des Heeres
abzuwehren 25).
Die von Reichsorganisationsleiter Ley (gemeinsam mit Schirach) 1937 gegründeten
Adolf – Hitler – Schulen waren – mit ausdrücklicher Billigung Hitlers - „als reine
Parteischulen" von Anfang an der staatlichen Schulaufsicht entzogen.26) Zugleich
versuchten Pädagogen wie Ernst Krieck und Eduard Spranger, vor allem aber Alfred
Baeumler (leitete ab 1934 im „Amt Rosenberg", einer Parteidienststelle, in der die
weltanschauliche Überwachung und Schulung der Partei erfolgte, die Abteilung
Wissenschaft), Bildungskonzepte, die bereits in der Weimarer Republik entworfen w
orden waren, auf unterschiedliche Weise in die faschistische Erziehungsideologie
einzubauen. 27)
In Bezug auf die AHS sprach Baldur von Schirach noch im Jänner 1938 von einem
„pädagogischen Experiment, das erst organisch wachsen müsse". 28)
Alles das eröffnete trotz der Vereinheitlichung des Schulsystems für viele Lehrer,
sowohl für die einzelnen Schuldirektoren, als auch für die Erzieher, große Freiräume
für die Umsetzung eigener Vorstellungen im Bildungsbereich – und zwar durchaus
immer wieder unter Berufung auf Führerworte, Führerbefehle und „mein Kampf", also
auf die „Ideen des Führers". 29)
Damit bekam das „Experiment AHS" zweifellos moderne Aspekte. Die
Adolf-Hitler-Schulen wirkten „erade im Bereich der täglichen Gestaltung des
Unterrichts ihrer Zeit in vielen Aspekten weit voraus...die Kritik kann in
diesem speziellen Fall nicht an der Methodik ansetzen... die in der Gesamtschau
jedoch viel Positives vermittelte. Es waren vielmehr die angebotenen Inhalte mit
ihrer tendenziellen Färbung, über die die ideologische Beeinflussung lief und
die durch die Verpackung oftmals umso subtiler wirksam wurden " 30)
Auch die Erziehungsvorstellungen der Hitlerjugend, zunächst unter Baldur von
Schirach, ab 1940 unter seinem Nachfolger Arthur Axmann entsprachen oft nicht
den Vorstellungen anderer NS-Machthaber. Schließlich kam es später im Zuge der
Abwehr der immer umfangreicher werdenden Eingriffe der HJ in die Freizeit der
Jungen zu Protesten der Schulbehörden und auch zu Koalitionsbildungen des
Nationalsozialistischen Lehrerbundes „zur Not sogar mit den Eltern". 31)
Zum Abschluss dieses Kapitels soll noch ein Aspekt aus dem Interview mit Erich
Salzer hervorgehoben werden: es scheint, dass mentalitätsmäßige und regionale
Unterschiede bei der Umsetzung nationalsozialistischer Erziehungsmethoden nicht
unterschätzt werden dürfen. Vor allem der von Salzer geschilderte (nicht ganz
untypisch-wienerische) Umgang mit der Hitlerjugend („wir machen eine Sport – HJ ...
und jeder macht was er will") 32) wäre im Vergleich etwa zu einer im norddeutschen
Raum fünf Jahre länger „indoktrinierten" Jugendgruppe näher zu untersuchen.
Der „Führer" - ein „Supervater" ?
Diese Fragestellung wurde gewählt, weil die NS-Propaganda durchaus auf die
Installierung dieses „Supervaters" ausgerichtet war.
Ich möchte mich in diesem Kapitel allerdings den Aussagen von Richard Picker
anschließen: Hitler wurde eigentlich nicht als „Vater" angesehen, sondern als
„Führer". 33) Es scheint mir dies aus zwei anderen Passagen des Interviews
begründbar: einmal, wenn er davon spricht, dass er die Botschaften seines eigenen
Vater genauso gut in der Zeitung hätte lesen können und dann in jener Passage, in
denen seine Großmütter die „offizielle Version" durchbrechen und ihn eben - weiblich -
als „ihren Enkel-Sohn behandeln". Hitler war offensichtlich die „Verkörperung der
offiziellen Version" – männlich – hart - fordernd. Er konnte – wenn auch mit
entsprechender Propaganda – vielen Menschen den Eindruck von „Sicherheit
und Geborgenheit in der Volksgemeinschaft" geben („Gemeinnutz geht vor Eigennutz"
– Punkt 24 des Parteiprogramms der NSDAP) 34). Aber die für einen „Supervater"
eben auch notwendige Vermittlung der „persönlichen Geborgenheit" war Hitlers
Sache nicht. Daher war er „nur" der Führer – wenn auch oft mit gottähnlichen
Attributen.35) „Ich weiß, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass der Mann jemals
stirbt",36) sagt Picker und verwendet an anderer Stelle das Wort „Dämonie"; Salzer
ist es „alt über den Rücken gelaufen". 37).
Wenn Hitler Ernst und Fürsorge – wesentliche Aspekte väterlicher Zuwendung -
zumindest „amtlich" vermitteln konnte, so fehlte eine Eigenschaft gänzlich, nämlich
„väterliche Milde". Hier war er wohl selbst ein Produkt einer „vaterlosen Gesellschaft":
Mitscherlich verweist auf den frühen Tod von Hitlers Vater, was bei Adolf Hitler zu
einer gescheiterten Sozialentwicklung geführt habe. Als Folge davon kam es zu
Phantasiebildungen, die sich in einem Selbstbewusstsein widerspiegeln, „das sich
omnipotent unzerstörbar wähnt ..... Der Kern seiner Gefolgschaft waren
Gleichgesinnte, das Faszinosum der Wirkung brachte der regressive Anschluss an
diese Phantasien der Unzerstörbarkeit zuwege, das Verständigungsmittel war der
präverbale Erregungsschrei". 38)
Der Versuch allerdings, Hitler propagandistisch als „Supervater" zu installieren,
begann bei den Nationalsozialisten bereits in der Volksschule, also in jenem frühen
Kindheitsstadium, in dem sich – nach den Kenntnissen der „verpönten"
Psychoanalyse – der Charakter bildet. „Hitler hat also genau zur richtigen Zeit und
im richtigen Alter versucht, seine Jugend zu formen". 39 )
In einer Lesefibel 40) steht unter einem Bild Hitlers – in Blockbuchstaben:
ADOLF HITLER
FÜHRER KANZLER
DEUTSCHES REICH
REICHS-KANZLER
HITLER MAG DIE KINDER GERNE
HEIL HITLER!
Im Gedicht: „Mein Führer !" 41) wird dieser Vater-Anspruch Hitlers deutlicher
herausgearbeitet: (Das Kind – ein Bub, ein Mädchen - spricht – unter dem
Bild Hitlers):
„Ich kenne dich wohl und habe dich lieb wie Vater und Mutter.
Ich will dir immer gehorsam sein wie Vater und Mutter.
Und wenn ich groß bin, helfe ich dir wie Vater und Mutter,
und freuen sollst du dich an mir".
Der Rückgriff auf traditionelle Elemente zeigt sich deutlich am Vergleich mit
dem Gedicht „Dem Kaiser" aus dem Jahr 1886 und bedarf keiner weiteren
Erläuterung:
„Wie meinen Vater lieb ich ihn, bis zu dem letzten Hauch.
Was gilt’s, wenn er mein Kaiser ist, mein Vater ist er auch.
Er blickt von seinem Heldenthron mit Lust auf jeden deutschen Sohn". 42).
„Hans hilft dem Führer" ist eine der zahlreichen Geschichten, in denen schon
die Schulkinder mit dem NS-Familienideal konfrontiert wurden – und in das „der
Führer" eingebettet war: die Güte der Mutter, die Strenge des Vaters, der Stolz
des Bruders und die Zurückhaltung der Schwester 43.)
In weiterer Folge wurde dem Schulkind unter der Formel: „die Krone alles
nationalsozialistischen Geschichtsunterrichtes besteht in nichts anderem als in
der Gefolgschaft des Führers" 44) beigebracht, dass es oberstes Gebot sei, des
„Führers Wunsch zu erfüllen". Dies als Vorstufe dafür, um später dem „erklärten
Willen des Führers" widerspruchslos zu folgen. Das begann mit dem Eid des Hitler-
Jungen im Rahmen einer Fahnenweihe, mit dem er gelobte, seine ganze Kraft „dem
Retter unseres Landes, Adolf Hitler" zu widmen und notfalls dafür auch sein Leben
einzusetzen, 45) bis zum SS-Schwur„Dir gehört ja alles, was wir besitzen, unser
Gut, unser Leben, unsere Herzen und unsere Seelen".46).
Die „Nähe des Führers" zur väterlichen Autorität versuchte 1936 Reichsführer
Hans Frank mit folgender Formulierung herbeizuführen: „Sagt euch bei jeder
Entscheidung, die ihr trefft: Wie würde der Führer an meiner Stelle entscheiden?"
Später dann, ab 1942, wurde die Fragestellung in eine Aufforderung umformuliert:
„Handle so, dass der Führer, wenn er von deinem Handeln Kenntnis hätte, dieses
Handeln billigen würde". 47)
Würde man in den beiden Zitaten die Bezeichnungen „Führer" durch „Vater"
ersetzen, wäre zumindest in der ursprünglichen Fassung der Wunsch des
NS-Regimes nach einer „Vaterrolle des Führers" argumentierbar. Ab 1942 trat dem
Jungen aber praktisch nur ein Befehlshaber gegenüber. „Geborgenheit" war
verzichtbar, es galt nur noch „Billigung" zu erlangen. Das übergeordnete Interesse
der „Volksgemeinschaft" – im Willen des Führers repräsentiert – zwang auf diese
Weise „das Kind häufig dazu, einen Kampf gegen die Autorität der Eltern oder der
Familie zu führen." 48).
Dabei war Hitler zwar ein – je nach politischer Position – gefürchteter, überhöhter oder
auch gottähnlicher Führer, dem es bei strengsten Sanktionsandrohungen unbedingt
Gehorsam zu leisten galt, der eigene Vater wurde aber - „gläubig" oder nicht - jedenfalls
in unseren Interviewbeispielen weder wegen der Mendelsohn-Noten (Picker), noch
wegen der sozialistischen Untergrundzeitung (Salzer) im wahrsten Sinn des Wortes
„verraten".
Dass es den Nationalsozialisten bei der Vaterrolle nicht nur um die Gewinnung
der Jungen, sondern auch der Mädchen ging, möge zum Abschluss dieses Kapitels
das in diesem Zusammenhang direkt skurril anmutende Beispiel des Nürnberger
Reichsparteitages 1936 illustrieren: Mehr als 1.000 BDM-Mädchen haben diesen
Parteitag geschwängert verlassen. Im Sinne der im Jahr zuvor eingeführten
„biologischen Ehe", die außereheliche Beziehungen „zur Erhaltung der Rasse"
ermöglichte, waren die Mädchen der Aufforderung nachgekommen, „dem Führer ein
Kind zu schenken". Wobei hier – im Gegensatz zu unseren Interviews – tatsächlich
von Denunzierungsdrohungen gegen Eltern berichtet wird, die mit diesen
Schwangerschaften aus moralischen oder sonstigen Gründen nicht einverstanden
waren. Bei diesem „Führerdienst" war, vom nationalsozialistischen Standpunkt aus,
also „offenkundig der Führer der symbolische Vater aller Kinder, die im Zeichen
des Rasse-Ideals geboren wurden: er zeugte sie durch die Kraft der
nationalsozialistischen Idee und die Macht seines unerschütterlichen Willens". 49 ).
Ein zweifellos eindrucksvolles Beispiel dafür, dass die NS-Propaganda zwar
die Kinder den Eltern zu entfremden vermochte, dass es sich dabei aber um eine
Wunscherfüllung des „Führers" und nicht um die eines „Supervaters" gehandelt hat.
Die körperliche und kommunikative Entfremdung
Diese Unterscheidung der „Entfremdung" zwischen Sohn und Vater hat sich aus dem
Interview mit Richard Picker ergeben. Die körperliche Trennung vom Elternhaus hätte
wohl durch entsprechende Kommunikation abgemildert werden können, was jedoch im
Briefverkehr „in der offiziellen Version" unterblieben ist. Abgesehen von der
Zensur hätte Picker seinem Vater weder von Angst und Panik (angesichts der
Bombenangriffe) schreiben können (das wäre weichlich – weibisch gewesen), noch
seine Gedanken zu Mozart- Requiem und Horst-Wessel-Lied. 50) Andererseits war
auch jenes in der Erinnerung als harmonisch und angenehm empfundene
Zusammensein mit seinem Vater „beim Bacherl spielen im Wald" von kommunikativer
Trennung geprägt: es galt ein „Schweigebefehl im heiligen deutschen Wald", um das
Singen der Vögel hören zu können! 51)
Bei Erich Salzer und seinem Vater war die kommunikative Entfremdung von
anderer Qualität: es gab keine Diskussionen, weil dem Vater offenbar klar war,
dass er gegen die anfängliche Begeisterung des Sohnes für „Führer und Regime"
nicht ankonnte und er verhindern wollte, durch ein ostentatives Beharren auf seiner
politischen Überzeugung den Sohn in Schwierigkeiten zu bringen. Mit dieser –
heute würde man sagen „fortschrittlichen" - Einstellung" konnte Salzers Vater auch
die vom Regime betriebene Entfremdung in so ferne abmildern, als er offensichtlich
keine Angst davor haben musste, von seinem Sohn wegen der Untergrundzeitung
der illegalen Sozialisten denunziert zu werden. 52) Andererseits hatte der Sohn auch
keine Angst gehabt, vor dem Vater beim Deutschland-Lied den Hitlergruß zu zeigen
(wobei man beim Anhören des Interviews zur Ansicht gelangt, dass dies in
Anwesenheit des Vaters wohl doch nicht geschehen ist). 53)
Der Kontakt zu den Eltern von Schülern in Eliteschulen galt als ein ausgesprochen
sensibler Bereich: In ihnen sah Erziehungsminister Rust „die Dreiheit der großen
Erziehungsfaktoren Elternhaus, Schule, Hitler-Jugend einheitlich zusammengefasst". 54 )
Die Betonung lag wohl auf „einheitlich", aber zumindest offiziell durfte der Kontakt zu
den Eltern nicht zu kurz kommen. Also musste (!) in den AHS „uter Aufsicht eines
Erziehers in bestimmten (wöchentlichen) Abständen an die Eltern geschrieben werden",
wobei die Briefe „in manchen Schulen auf Inhalt und Fehler kontrolliert wurden".55)
Auch im Rahmen des Napola- Unterrichts m u s s t e „jeder Junge einmal in der Woche
nach Hause schreiben".56).
Die Diskrepanz zwischen dem offiziell hohen Stellenwert der Familie und dem
Hitler-Ausspruch über die Eliteschüler: „.. und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes
Leben" 57) zeigt m.E. trefflich der nachfolgende Ausschnitt aus einem Elternbrief
der AHS Tilsit aus dem Jahr 1939: „.. sie haben keineswegs ihren Jungen verloren ...
sondern sie übertragen im besten Vertrauen auf uns nur einen Teil der Erziehung
auf die Erzieher. Der Pimpf soll, das ist unser Wille, nach wie vor im Elternhaus und
in der Heimat wurzeln. Ein Pimpf, der seine Eltern und seine Heimat vergisst, wird
wurzellos und ist auch f ü r u n s n i c h t g e e i g n e t". 58)
Im außerschulischen Bereich liefen die Entfremdungsversuche offensichtlicher
ab: sowohl HJ als auch BDM setzen in so ferne bei der körperlichen Entfremdung
an, als sie versuchten, die Kinder über immer längere Zeiträume hinweg dem
Einfluss ihrer Familien zu entziehen. Ab 1936 waren es bereits zumindest zwei
Nachmittage pro Woche 59), dazu kamen noch Vorträge und Propagandafilme am
Wochenende 60), Sammelaktionen wie etwa die Winterhilfe, Landdienst, vor allem
aber auch eine Unzahl von Sportwettkämpfen Dass dies zunächst für junge
Menschen willkommene Gelegenheiten waren, dem Elternhaus, zunehmend aber
auch schulischen Verpflichtungen zu „entfliehen", liegt auf der Hand. Allerdings
erfolgte neben der politischen Indoktrinierung bei den Heimabenden oder in Zeltlagern
auch eine für viele Junge nicht wirklich erkennbare Militarisierung. Sowohl mit der
Uniformierung, dem Marschieren, den Trommeln und Fanfaren 61), vor allem aber auch
in der Art und Weise, wie sich die verschiedenen HJ- und BDM- Unterführer - später
dann auch täglich bis 22.30 Uhr - als „Vorbilder" mit schreiendem Ton, rassistischen
und nationalistischen Parolen und in ihrem durchaus überheblichen Verhalten
Erwachsenen gegenüber präsentierten.62)
Auch wenn es Erich Salzer nicht bestätigen kann: die Aktivitäten der Jugendgruppen
erzeugten in vielen Familien Misstrauen und Furcht. Die Folge davon war Vorsicht
innerhalb der Familie bis hin zur Gesprächsverweigerung, sowohl von Seiten der Eltern,
als auch der Kinder. Jedenfalls haben Mitglieder von Jugendgruppen nicht nur Lehrer
oder Pfarrer denunziert, sondern manchmal sogar ihre Eltern.63 )
Die „vaterlosen" Eliteschüler
Im Bereich der Eliteschulen Napola, AHS und der von Rudolf Hess gegründeten
Privatschule Feldafing sind die größtenteils bewusst gesetzten Maßnahmen des
NS-Regimes zur „Entfremdung der Söhne von ihren Vätern" vielfach nachvollziehbar
– verstärkt natürlich durch die Internatserziehung. Das begann mit der
Entfernung der Buben mit 10 Jahren (Napola) bzw. 12 Jahren (AHS) aus dem
Elternhaus. Der ehemalige Erzieher Dr. M. H. beurteilte 1968 die NPEAs in vier
Bereichen positiv, in drei Bereichen negativ. Hier stand an erster Stelle „die Aufnahme
von Schülern in Sexta und Quinta, die zu früh dem Elternhaus entrissen wurden". 64 ).
Richard Picker spricht von unübersehbaren Folgen: „ 70 Prozent der Jungmannen
der ersten Züge waren aktive Bettnässer, kaum dass sie einige Wochen in der Anstalt
verbracht hatten". 65 )
Bezeichnend auch Interviews ehemaliger Napola -Schüler: „der Nachteil dieser
Erziehung liegt in der Entfremdung von der Familie ... ich habe bei meinem Sohn ...
die familiäre Bindung vorgezogen". 66) Ein zweiter findet, dass seine drei Kinder
„auch ohne dieser Schule anständige Menschen geworden" wären, obwohl: „leichter
hätten sie es sicherlich in der Obhut solch einer Eliteschule gehabt". Aber – um
seine Mutter zu zitieren: „.. ich würde meine Kinder nie mehr fortgeben..." 67).
Heimaturlaub erfolgte in der Regel an jedem dritten Wochenende, sowie in den
Ferien (die allerdings z.B. durch Ernteeinsätze verkürzt wurden). Auch Besuche
der Eltern in der Erziehungsanstalt waren eingeplant. Dort wurde jedoch erst
wieder die "offizielle Version" präsentiert. Allerdings: „meine Eltern kamen ...
nie, für damalige Verhältnisse war die Anreise von Graz zu weit:" 68 ).
Die Folge war, dass zumindest für einen Teil der Schüler die Erzieher in die
Rolle eines Vaterersatzes kamen. „wir haben uns also jahrelang geschrieben, und
er hat uns auch besucht, in unserer Wohnung in J. in den 50er Jahren". 69 )
„Unseren (Zugführer) Erzieher verehrten wir nachgerade. Er war ein einmaliger
Pädagoge, Lehrer und Kamerad ... der immer wie eine Gluckhenne vor uns stand....
Er war damals 29 – 30 Jahre alt".70) Für manche Schüler zählen Besuche (meist
an Sonntagen) in der Wohnung ihrer Schulführer „zu den positivsten
Erinnerungen an ihre Schulzeit, denn dort fanden sie zumeist ein wenig jener
familiären Atmosphäre vor, deren allgemeines Fehlen von einigen Schülern
schmerzhaft empfunden wurde".71)
Dass schon bei der Aufnahme in die Napola massive Eingriffe in die väterliche
Autorität erfolgten, zeigen Ausschnitte aus dem folgenden Merkblatt für die
Lehrer der Volksschulen: „Die Auslese der Jungmannschaft ... kann nicht in erster
Linie Sache des Elternhauses sein, da erfahrungsgemäß viele Eltern bei der
Anmeldung ihrer Söhne sich von Gesichtspunkten leiten lassen, die mit der von
den Anstalten erstrebten Auslese nichts zu tun haben". 72 ) Die Auslese wurde
zunächst den Volksschullehrern im Zusammenwirken mit Parteistellen übertragen,
sie mussten in einer Art Spitzeltätigkeit die Erbgesundheit der Familie „erkunden".
Die Eltern durften bis zur Vormusterung ihres Sohnes nicht informiert werden,
mussten dann jedoch einer Aufnahme in die Napola zustimmen. In diesem
Zusammenhang waren allerdings fallweise „die jeweils vorhandenen Möglichkeiten
zu überprüfen, um die Familie u n a u f f ä l l i g für die Bewerbung um Aufnahme
ihres Sohnes in den Aufnahmezug zu g e w i n n e n."73).
Dass die Entfremdung zum Elternhaus – zwar mit einer vordergründig „sozialen
Argumentation" – auch durch „moderne Kontrastierung" erreicht werden sollte,
zeigt eine Propagandaschrift aus dem Jahr 1941:
„Die Adolf-Hitler-Schüler sollen nicht in einer Umgebung aufwachsen, der noch
der Modergeruch vergangener Zeiten anhaftet. Sie sollen in Licht, Luft und Sonne
groß werden, nicht in engen Kammern hausen, sondern in geräumigen und freundlich
ausgestatteten Stuben wohnen, nicht in stickigen Studierzimmern lernen...". 74)
(In dieser Beziehung also ein „Rückgriff" nicht auf konservative, sondern auf
sozialdemokratische Elemente. Allerdings hatten die Sozialisten in den 20er
Jahren mit dem Streben nach Licht, Luft und Sonne andere Vorstellungen verbunden
als die Erziehungsanstalten eines totalitären Regimes).
Massive Eingriffe in die Elternrechte wurden schließlich nach einigen Jahren
NS-Herrschaft im Bereich der Religion unternommen, vor allem bei den
Eliteschülern. Dass noch 1942 eine große Anzahl von Napola -Schülern in Putbus
in den Konfirmandenunterricht ging, erboste Himmler derart, dass er in einem
Schreiben die Frage stellte: „ist Ihnen das bekannt? Wer ist der verantwortliche
Leiter für diese Dinge? ...Meines Erachtens müsste die weltanschauliche
Erziehung im Verlaufe weniger Jahre den neu eingetretenen Jungen doch so weit
bringen, dass er seine Eltern bewegt, ihn aus der Kirche austreten zu lassen..." 75).
Ein ehemaliger AHS - Schüler fasst die „vaterlose Zeit" folgendermaßen zusammen:
„Es hat ja keine Hilfe gegeben, du hast jederzeit jemanden fragen können. Aber du hast
Eigeninitiative dazu haben müssen, das hast du erst lernen müssen, so etwas zu
machen. Es waren ja kein Vater und keine Mutter da, die ganze Schulzeit warst du
absolut auf dich allein gestellt, aber schon mit zwölf Jahren." 76).
Dieser Umgang mit der Abwesenheit von Vater und Mutter war ein wesentlicher Aspekt
des nationalsozialistischen Erziehungssystems in den Eliteschulen und soll im
abschließenden Kapitel behandelt werden.
Die „Selbsterziehung" – eine nationalsozialistische Weiterentwicklung
Diese im Nationalsozialismus weiterentwickelte Selbsterziehung basierte auf mehreren
Wurzeln. Zunächst auf dem Prinzip der „bündischen Jugend" im Bekenntnis vom Hohen
Meißner (1913): „Die freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung, vor eigener
Verantwortung und mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten". 77). Womit sich bei
den verschiedenen Jugendbewegungen der 20er- und 30er Jahre, die dann entweder in
die Hitlerjugend übergeführt wurden oder auch im Widerstand waren, die von Richard
Picker deftig formulierte Überzeugung vom „scheiß-bürgerlichen Elternhaus" und das
Prinzip „Jugend führt die Jugend" entwickelte (dass sich unter diesen Vorläufern auch
der Wiener jüdische Psychoanalytiker Siegfried Bernfeld, der Vater der Kibbuzim -
Bewegung befand, wird wohl im NS-Regime wenig geschätzt worden sein). 78 ).
Für den Ministerialrat im Erziehungsministerium Joachim Haupt, der schon 1933
mit der Umwandlung der drei damals bestehenden Kadettenakademien in Napolas
befasst war, wurde die Jugendbewegung nicht von „Primusfiguren" getragen, sondern
von denen, „die sich dem Geiste der bürgerlichen Erziehung nicht so fügen
wollten, wie es von Eltern und Lehrern gefordert wurde". 79). Wobei es ihm vor allem
um die Organisation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Form eines
„männlichen Kampfbundes" ging. 80). Dabei dürften die von Richard Picker angeführten
„homophilen Neigungen" 81) durchaus mit im Spiel gewesen sein.
Die NS-Jugendorganisationen konnten jedenfalls auf der schon von der Bündischen
Jugend vertretenen Gemeinschaftsidee voll aufbauen. Allerdings in einer
Organisationsdichte, wie sie nur im totalitären Staat möglich war. Außerdem wurde der
Jugend – scheinbar – Macht übertragen: Reichsjugendführer Baldur von Schirach
formulierte das so: „nicht die Partei, sondern die Jugend hat immer recht". 82 ).
Dies war allerdings eine Macht, „in der niemand zur Besinnung kommen sollte, damit
das kollektive Hochgefühl, das als Form der Loyalität zum System angestrebt wurde,
nicht zum Erliegen kam. Jugendbewegung war in dieser Programmatik das
Bewegungsmuster der Gesellschaft. Sie ließ Familie als etwa Archaisches hinter sich,
ordnete sie sich unter und spaltete sie". 83). Der schon zuvor in der Jugendbewegung
vorhandene Führerkult 84) erleichterte die Übernahme von Hitlers Führerkult.
Mit der Einführung der Zwangsmitgliedschaft in der HJ im März 1939 nahm zwar
die Zahl der HJ-Mitglieder zu, die Begeisterung aber offenbar ab. 85). Es spricht
einiges für die Ansicht, dass ein Teil der ursprünglichen HJ-Begeisterung auch auf
das „natürliche" pubertäre Widerspruchsverhalten gegen den Vater zurückzuführen
war. Nachdem nun der „väterliche Zwang", dem man in der Jugendorganisation
„entkommen" war, durch den HJ-Zwang ersetzt wurde, galt es, neue „Freiräume"
zu finden – zum Beispiel in der Sport- HJ und beim Jazzplatten spielen. „eine Anti-
Stimmung ist da schon erwacht". 86) Die von Salzer erwähnte Provokation der
„radikalen Nazi" entspricht - wenn auch im kleinen Rahmen - den Berichten über die
sogenannten „wilden Cliquen" („Edelweißpiraten" mit etwa 750 Sympathisanten im
Jahr 1942, „Haarlem Club", „Swing-Jugend" – letztere hatten laut Polizeibericht bis
zu 27 Zentimeter lange Haare).87).
Angesichts zahlreicher Jugend - Oppositionsgruppen im totalitären NS-Staat muss
wohl die Frage offen bleiben, wie weit die „Jugend führt die Jugend – Erziehung" –
jedenfalls im außerschulischen Bereich - soweit sie gegen die Väter gerichtet war,
auch tatsächlich gegen die Väter wirksam wurde.
Anders scheint der Befund bei den Eliteschulen mit dem weitgehend umgesetzten
System der „Erziehung durch Gleichaltrige" und den zumindest ansatzweise
versuchten Neuerungen im Erziehungssystem zu sein. Schon 1933 wurde die
gleichwertige Ausbildung von Körper, Geist und Charakter begonnen. Von den
Kadettenanstalten übernahm man die körperliche (vormilitärische) Ausbildung, aber
in neuer, bis dahin nicht gekannter Intensität. 88). Entscheidend in Richtung „Jugend
erzieht Jugend" war die Umstellung der Lehrerauswahl: die Lehrerrolle wurde „vom
Fachmann hin zum Jugendführer verschoben". 89).
Dem neuen Vorrang von Erziehung vor Bildung wurden nun („politisch einwandfreie")
Wehrsportlehrer gerecht, denen es mit ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit gelang, für
die neuen Formen und Inhalte der Erziehung innerhalb kurzer Zeit hohe Akzeptanz bei
den Jungen zu erlangen. Die „Schüler bildeten eine Gefolgschaft. aus Lehrern wurden
Führer ... Erzieher und Jungmannen übernachteten bei Geländeübungen gemeinsam
in Scheunen, alle trugen die gleichen Uniformen, sowohl die Alters- als auch die sozialen
Unterschiede schienen aufgehoben".90). Im Gegensatz zu den früheren Kadettenanstalten
wohnten die Erzieher nicht außerhalb, sondern mit den Jungen im selben Gebäude, sie
bildeten eine in vieler Beziehung neue „Erziehungsgemeinschaft" 91), wobei vor allem
„die Persönlichkeit des jungen Erziehers die Gewähr dafür bot, dass er von einer
angeblich freien Gefolgschaft als Führer akzeptiert wurde". 92).
Unter diesen Umständen war es nicht verwunderlich, dass für viele Zöglinge 93) der
Erzieher nicht so sehr in einer Führerrolle als vielmehr in der Rolle eines Ersatzvaters
erlebt wurde. In den Adolf-Hitler-Schulen sollten die Erzieher „in einer Person Lehrer
und Jugendführer sein, in jeder Hinsicht körperlich, charakterlich und geistig den
Jungen ein Vorbild, gleichzeitig aber nicht nur Vorgesetzte, sondern auch Kameraden.
Das enge Vertrauensverhältnis soll durch das in der Hitler-Jugend übliche
kameradschaftliche <Du> zum Ausdruck gebracht werden".94).
Die Stellung des Erziehers als Ersatzvater scheint noch durch das System der
Kollektivstrafen bzw. die von Richard Picker angeführten Strafmodelle
„Salzergasse" und „Watschentanz" 95) gestärkt worden zu sein. Kaum einer
der ehemaligen Napola -Schüler erinnert sich daran, vom Erzieher geschlagen
worden zu sein (welch ein „Kamerad" im Vergleich zum damals zweifellos
mehrheitlich „schlagenden" leiblichen Vater!). Die Methoden der Selbsterziehung
führten dazu, dass sich der Erzieher „die Hände nicht schmutzig machen" musste.
Das übernahmen „Hilfserzieher", andere Jungmänner oder die gesamte Gruppe. 96).
„Diese Manipulation hatte nur Vorteile für die Erzieher 97): die gesamte Aggression
richtete sich gegen den Auslöser dieser Kollektivstrafe, der Erzieher blieb der
„kameradschaftliche Kumpel".
Schließlich sei noch auf einen weiteren „modernen" Erziehungsaspekt eingegangen,
der in dieser Form zwar nur in einem autoritären System durchzuziehen war, zweifellos
aber Auswirkungen auf das Verhältnis Söhne – Väter hatte und zugleich im Sinne des
NS-Regimes die Schüler auf ihre eigentliche künftige Aufgabe vorbereitete, nämlich
Soldaten für den Führer und das Deutsche Reich zu werden: die Erziehung der
Zöglinge untereinander.
Unter dem Motto „Erziehet euch selbst" sollten die Zöglinge lernen, „
auf Befehl entweder zu führen oder zu gehorchen, gerade so wie es Führer und Volk
von ihnen verlangten".98 ).
So war etwa der "Pimpf vom Dienst" jeweils eine Woche lang für den kompletten
Dienstablauf verantwortlich. Diese Art der Jugend-Selbsterziehung war geprägt
durch Stolz über die Funktion und Angst vor dem Versagen. „so lernt er befehlen
und gewinnt die s u g g e s t i v e K r a f t d e s S e l b s t v e r t r a u e n s, die
notwendig ist, um den eigenen Willen durchzusetzen... In der nächsten Woche löst
ihn wieder ein Pimpf ab: so lernt er wieder gehorchen. Jeder soll führen, jeder
soll gehorchen". 99).
„Dieser wechselnde Einsatz von Gehorchen und Befehlen innerhalb der
Jugendgemeinschaft macht das Prinzip der Selbstführung aus. Auf den Adolf-Hitler-
Schulen soll ein Führernachwuchs heranwachsen, groß im Wissen, blind im Gehorsam,
fanatisch im Glauben".100).
Diese Form der im Elternhaus nicht erlebbaren Erziehung – nämlich auch eine zeitlang
„Chef" zu sein - hat viele für das Leben geprägt: „Was mir persönlich auch einiges
gegeben hat, das war die Aufgabe, dass ich fast ein Jahr lang ... für dreißig junge
Leute verantwortlich war. In einem Alter, wo ich selber noch ein halbes Kind war. Ich
war damals 15 ½, 16 Jahre". 101).
Das Erziehungssystem war offensichtlich wirksam, aber in sich widersprüchlich:
Einerseits sollten die Jungen „eine eigene Meinung entwickeln, klar Position beziehen,
unabhängig denken und argumentieren lernen" und andererseits wurde von ihnen als
gläubige Nationalsozialisten erwartet, dass sie „ohne zaudern Befehle ausführen und
die eigene Person dem Ganzen unterordnen". 102 ).
Schlusswort
Hitler blieb für die meisten jungen Deutschen der „Führer" der Volksgemeinschaft. Für
einen „Supervater" fehlte ihm die „Milde", und die Distanz zu ihm war zu groß. Als „Gott-
Mensch" – so hat ihn Himmler häufig bezeichnet 103 )- war er für die Söhne kein
Vaterersatz, sondern er stand über den Söhnen u n d über den Vätern. Das ärgste,
was Picker - Sohn hätte passieren können war, dass Picker – Vater „gegen den
Führer etwas getan hätte". 104).
Nach Meinung von Uriel Tal und in einem wie ich meine gelungenen bildhaften
Vergleich ist im politischen Sinn Gott Mensch geworden „durch ein Mitglied der
arischen Rasse, deren höchster Vertreter auf Erden der Führer war. Die
Kommunikation mit dem Führer wird Kommunion. Die Wandlung geschieht bei den
öffentlichen Massenveranstaltungen und mit Hilfe von Erziehung, Indoktrinierung
und Disziplin. Am Ende steht die Identifikation des Individuums mit dem Vater
und die Verwendung von Begriffen wie Vater des Staates, Sohn der Rasse und Geist
des Volkes". 105 ).
Dies weist in Richtung pseudo-religiöser Vater-Sohn-Konflikte, nicht aber -
jedenfalls nicht aus diesem Titel – in Richtung „vaterloser Gesellschaft".
Wirksamer aus Sicht des NS-Regimes funktionierte die körperliche und
kommunikative Entfremdung. Jedenfalls in den Eliteschulen, aber zumindest in den
Anfängen auch im außerschulischen Bereich. Hier hat sich allerdings das
perfektionistische System selbst „geschadet", als es die den Jungen angebotene
Möglichkeit, Freizeit außerhalb des elterlichen Einflussbereiches zu verbringen
zum Zwang erhob und versuchte, die „Freizeit" gänzlich zu verplanen. Damit
verminderte die HJ selbst die Wirkung ihrer offensichtlich „gegen die Väter
gerichteten" Indoktrinierungsmaßnahmen, Freizeit- und Massenveranstaltungen.
Die kommunikative Entfremdung hat sowohl in nationalsozialistischen Familien
(„in der offiziellen Version") als auch in regimekritischen Familien (Angst,
Misstrauen, Gesprächsverweigerung) Wirkung gezeigt. Entscheidend in diesem
Bereich war aber wohl, wie die Jungen die ihnen vom Regime - vermeintlich –
eingeräumte neue Machtfülle im Umgang mit ihren Vätern eingesetzt bzw.
missbraucht haben.
Mit dem System der "Selbsterziehung" der Jungen durch die Jungen sind in der
NS-Erziehung - wenn auch aufbauend auf traditionelle Muster – zweifellos
Modernisierungstendenzen erkennbar. Das Regime konnte reichseinheitliche
Richtlinien erlassen und auch durchsetzen, die Erziehung wurde im bisher noch
nicht da gewesenen Ausmaß durchorganisiert. Dennoch schuf der
Experimentcharakter der Eliteschulen die Möglichkeit sowohl für Erzieher als
auch für die Jungen, verschiedene Modelle durchzuprobieren.
Eigenverantwortung, Gehorsam, aber auch Kollektiverlebnisse und Kollektivstrafen,
sowie die Ferne zum Elternhaus brachten doch zahlreiche Junge auf den Weg in
eine „vaterlose Gesellschaft", ohne dass dies von ehemaligen Eliteschülern explizit
so empfunden wird.
Ich komme nochmals zurück zur oben geforderten „suggestiven Kraft des
Selbstvertrauens, die notwendig ist, um den eigenen Willen durchzusetzen..."
(Kopp). Da anzunehmen ist, dass die für die NS-Erziehung maßgeblichen Pädagogen
und Erzieher sich mit dem Lebenslauf „ihres Führers" vertraut gemacht hatten,
müssten sie wohl bei diesem Satz an die keineswegs friktionsfreie Beziehung des
jungen Hitler zu seinem Vater gedacht haben Wäre beabsichtigt gewesen, den in
einem Schulbuch im Jahr 1933 veröffentlichten und als Lernbehelf gedachten
Lebenslauf Hitlers als Vorbild für die Hitler-Jungen zu nehmen, wäre damit
zweifellos „des Führers Wunsch" erfüllt worden.
Über den jungen Hitler ist dort zu lesen, dass sein Vater für ihn den Beruf
des Staatsbeamten auserkoren hatte. „und der Vater nimmt es als
selbstverständlich an, dass der Sohn auf diesen Plan eingeht. Jedenfalls wollte
er die Wahl des Berufs nicht dem Sohne überlassen, sondern kraft seiner
Autorität selbst darüber entscheiden. Aber es kommt anders. Der Sohn setzt den
Absichten des Vaters ein bestimmtes und beharrliches „Nein" entgegen. Das ist
kennzeichnend für den erst 11 Jahre alten Knaben. Beamter wird er auf keinen
Fall, sondern bleibt ein völlig ungebundener freier Mann..... Eines Tages kommt
er – er mochte 12 Jahre alt sein – zu der Erkenntnis, er müsse unbedingt Maler,
d. h. Kunstmaler werden. Sein zeichnerisches Talent steht zwar fest, aber
niemals hätte der Vater seine Zustimmung gegeben. Der Vater ist zuerst sprachlos,
zweifelt an der Vernunft seines Sohnes und gibt ihm dann die Antwort: Kunstmaler,
nein, solange ich lebe, niemals! Diesem Starrsinn des Vaters setzt der Sohn seinen
ererbten Starrsinn entgegen, und so entsteht zwischen den beiden eine heftige
Spannung. In der Schule vernachlässigt Adolf seine Arbeiten und bringt nur noch
in Geschichte und Geographie gute Noten nach Hause..." 106 )
Dieser Schulbuch-Lebenslauf Hitlers war wohl eine der ersten, jedenfalls aber
eine der offensichtlichsten „gegen den Vater" gerichteten Aktionen der
NS-Erziehungspolitik und zumindest ein Indiz dafür, dass die Jugend im
Nationalsozialismus nach dem Willen des Führers den Weg in eine „vaterlose
Gesellschaft" hätte einschlagen sollen und zumindest in Teilbereichen diesen
Weg auch tatsächlich beschritten hat.
Literatur
Francois BEDARIDA, Nationalsozialistische Verkündigung und
säkulare Religion. In: Der Nationalsozialismus als politische Religion Hg. M.
Ley und J.H. Schoeps (Bodenheim b. M. 1997) 153 - 167.
Gerhard BOTZ, Wien vom „Anschluss" zum Krieg. Nationalsozialistische
Machtübernahme und politisch-soziale Umgestaltung am Beispiel der Stadt Wien
1938/39 (Wien 1978).
Monika DAURER / Diana HELD, Ehre ist Zwang genug. Nationalpolitische
Erziehungsanstalten vor dem Hintergrund des Nationalsozialistischen Weltbildes.
Diplomarbeit Univ. Wien 2002.
Barbara FELLER / Wolfgang FELLER, Die Adolf-Hitler-Schulen. Pädagogische
Provinz versus Ideologische Zuchtanstalt. Gedruckte Diss. Phil. Univ. Wien 2001
(Weinheim / München 2001).
Joachim FEST, Hitler. Eine Biographie. (Berlin 1973). Taschenbuch Neuausgabe 2003.
Lothar GALL, Wege – Irrwege – Umwege. Die Entwicklung der parlamentarischen
Demokratie in Deutschland. Historische Ausstellung im Deutschen Dom in Berlin.
Katalog (Berlin 2002).
Brigitte HAMANN, Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators (München / Zürich 1998).
Peter HASUBEK, Das deutsche Lesebuch in der Zeit des Nationalsozialismus. Ein
Beitrag zur Literaturpädagogik zwischen 1933 und 1945 (Hannover 1972).
Adolf HITLER, Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band (München 1939) 499-503.
Ian KERSHAW, Der Hitler-Mythos. Volksmeinung und Propaganda im Dritten Reich
(Stuttgart 1980).
Martin KLAUS, Mädchenerziehung zur Zeit der faschistischen Herrschaft in
Deutschland. Der Bund deutscher Mädel 2 Bde. (Frankfurt 1983).
Guido KNOPP, Hitlers Kinder (Wien 2000).
Herbert KOCAB; Die nationalpolitische Erziehungsanstalt. Eine Ausleseschule
als Herrschaftsmittel des NS-Regimes. Diplomarbeit Univ. Wien 1993.
Peter LOEWENBERG, The Psychohistorical Origins of the Nazi Youth Cohort. In:
American Historical Review 76 (1971) 1457 – 1502.
Eric MICHAUD, "Soldaten einer Idee": Jugend im Dritten Reich. In: Geschichte
der Jugend Bd. 2 Von der Aufklärung bis zur Gegenwart Hg. Giovanni LEVI /
Jean-Claude SCHMITT (Frankfurt 1997) 343 – 372.
Alexander MITSCHERLICH, Auf dem Weg in die vaterlose Gesellschaft (München 1970).
Richard PICKER; Das Ende vom Lied? Positionen eines Lebens zwischen
Hitlerjugend, Psychotherapie und Kirche (Wien 2007).
Lisa PINE, Nazi Family Policy 1933 – 1945 (Oxford / New York 1997).
Baldur von SCHIRACH, Die Hitler-Jugend. Idee und Gestalt (Leipzig 1936)
Klaus SCHMITZ, Militärische Jugenderziehung. Preußische Kadettenhäuser und
Nationalpolitische Erziehungsanstalten zwischen 1807 und 1936. In: Studien und
Dokumentalien zur deutschen Bildungsgeschichte 67, Hg. Christoph FÜHR / Wolfgang
MITTER (Frankfurt 1997).
Harald SCHOLTZ, NS-Ausleseschulen: Internatsschulen als Herrschaftsmittel des
Führerstaates (Göttingen 1973).
William Lawrence SHIRER, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches (Köln 1961)
Reinhard SIEDER, Besitz und Begehren, Erbe und Elternglück. Familien in
Deutschland und Österreich. In: Geschichte der Familie Bd. 4 - 20. Jh.
(Frankfurt 1998) 211-284.
Marlies STEINERT, Hitler (München 1994).
Heinz-Elmar TENORTH, Zur deutschen Bildungsgeschichte 1918 – 1945 (= Studien
und Dokumentationen zur deutschen Bildungsgeschichte 28, Köln / Wien 1985).
Klaus THEWELEIT, Männerphantasien 1. Bd. (Frankfurt 1977).
Max TROLL; Die Schule im Dritten Reiche. Ein Hilfsbuch für den Unterricht
nach den Forderungen des Nationalsozialismus (Langensalza 1933).
Horst UEBERHORST, Elite für die Diktatur. Die Nationalpolitischen
Erziehungsanstalten 1933-1945. Ein Dokumentarbericht (Düsseldorf 1969).
Medien:
Phillipe LABRUNE, Kurt Gerstein: „Zeuge der Wahrheit". TV-Dokumentation
(Frankreich 2007). Gesendet auf „Arte" 6.4.2007 (22.15 Uhr).
www.akens.org Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in
Schleswig-Holstein E.V. – Mathias PAUSTIAN, die Nationalpolitische
Erziehungsanstalt Plön 1933 – 1945.
www.hdg.de Stiftung Haus der Geschichte Bundesrepublik Deutschland (Dokument
Hitlerjugend).
CD – Wege – Irrwege – Umwege. Die Weimarer Republik / Das Dritte Reich. Hg.
Deutscher Bundestag (Berlin 2002).
Fussnoten
1 Auf diesen Aspekt hat mich Richard Picker, Theologe und Psychotherapeut, besonders hingewiesen:
Das im Internatsleben „übliche Heimweh" wurde im NS-Erziehungswesen nicht nur durch die systematische
„Verplanung der restlichen Freizeit" verstärkt, sondern auch durch die Zensur der schriftlichen
Kontakte. Picker ist als ehemaliger NAPOLA-Schüler Interviewpartner in diesem Forschungsprojekt.
2 Mitscherlich 188
3 Tenorth 122
4 Fest 1073
5 Pine 8.
6 Hitler,„Politisches Testament“ (4.2.1945). Zit. bei Fest 1046 (Hervorhebung durch mich).
7 Ueberhorst 44
8 Ueberhorst 216
9 dessen zunehmendes Fehlen ja Mitscherlich als wesentlich für die Ausformung der „vaterlosen
Gesellschaft" beschreibt. Vgl. Mitscherlich 188
10 wenn auch mit der Zielsetzung, dass die Napola –Schüler sich später – „als Chefs" – mit der
Arbeit der dann ihnen Anvertrauten praktisch auskennen sollten.
11 Hitler- Rede am 10.12.1940. Zit. in Ueberhorst 95.
12 Hitler, Mein Kampf 452.
13 Ds. 475 (Hervorhebung durch mich).
14 Ds. 476 (Hervorhebung durch mich).
15 Tenorth 123.
16 Ueberhorst 181. Die „vaterlose Gesellschaft" als Folge rassischer oder politischer Verfolgung
bleibt aus dieser Arbeit bewusst ausgeklammert.
17 Vgl. Tenorth 124.
18 Schulkonferenz Verhandlungen I (1890) 440 ff. Zit. bei Schmitz 99.
19 Hermann Heuer, Englische und deutsche Jugenderziehung. In: Zeitschrift für neusprachlichen
Unterricht, Hg. V. M. Löpelmann, Berlin Bd. 36, Jg. 1937 S. 215 ff. Zit. bei Ueberhorst 55.
20 Vgl. Interview Picker S. 4.
21 Haupt 1936. Zit. bei Schmitz 287 (Siehe zu Haupt auch Fußnote 80).
22 Schmitz 299, der darauf hinweist, dass Entwürfe zur Reform der Lehrerbildung aus dem Jahr
1941 zeigen, dass „an in seinen Zielvorstellungen durchaus den Volksschullehrer des 19. Jahrhunderts
vor Augen hatte".
23 Tenorth 82.
24 Gall 222.
25 Ueberhorst 147: in einem Brief vom 7.5.1940 schreibt Himmler, er bitte „.. den Herren in aller
Freundlichkeit aber klar zu sagen, dass ich die Erziehungsrichtlinien in den Nationalpolitischen
Erziehungsanstalten bestimme und nicht das Heer".
26 Ueberhorst 135.
27 Daurer / Held 30 – 36.
28 Rede Schirachs in Waldbröl, 15. 1. 1938. Zit. bei Feller 120. Dazu wird die österreichische Reichspost
vom 18. Jänner 1938 zitiert: „genau betrachtet, ein erschreckendes Geständnis: Man gibt zu ein Neues, ein
Experiment im Erziehungswesen begonnen zu haben".
29 Feller 121.
30 Feller 194.
31 Tenorth 85.
32 Salzer - Interview S 2.
33 Picker – Interview S. 6..
34 Gall 218.
35 Michaud 370 ( Fußnote) zitiert J. Toland, Adolf Hitler (Bergisch Gladbach 1977 S. 539, wonach
Kinder in Köln vor dem Essen folgendes Gebet sprechen mussten: „Führer, mein Führer, den der Herr
mir geschenkt hat / Schütze und erhalte mich, solange ich lebe / Du hast Deutschland aus tiefster
Not gerettet / Ich danke dir heute für mein täglich Brot / Beschütze mich und lass mich nicht im Stich /
Führer, mein Führer, mein Glaube und mein Licht / Heil, mein Führer!"
36 Picker – Interview S. 4.
37 Salzer – Interview S. 5.
38 Mitscherlich 179. Vgl. dazu auch Sieder 214.
39 Held / Daurer 49 (in Anlehnung an Theodor Adornos Schrift „Erziehung nach Auschwitz").
40 Abb. bei Michaud 353. Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum.
41 Abb. bei Pine 59. Aus: H. Schulz, Mühlenfibel (Braunschweig 1935). Siehe Anhang
42 Schulbuchlied, 2. Strophe, präsentiert im Forschungsseminar, aus Barbara James, „der Kaiser
ist ein lieber Mann ...". Schullieder auf Kaiser Wilhelm. In: Sabine Schutte (Hg.), Ich will aber gerade
vom Leben singen. Über populäre Musik vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende der
Weimarer Republik (Hamburg 1987) 169-186, hier 174f. Den Angaben der Autorin zufolge
stammt der Text ursprünglich aus Rudolph Palme (Hg.), Sangeslust. Sammlung gemischter
Chorgesänge für Gymnasien und Realschulen (Leipzig, 2. Aufl. 1886) 298f.
43 Pine 64 mit dem Hinweis auf K. Eckhardt / A. Lüllwitz, Fröhlicher Anfang,. Ein erstes Lesebuch
(Frankfurt/M: 1939) s. 60
44 E. Flieder, Nationalsozialistisches Bildungswesen (Amsterdam 1938) zit. bei Michaud 346.
45 Shirer 244. Dass dies jeweils am 20. April („Führers Geburtstag") erfolgte, sollte durchaus
vermitteln, dass der Hitlerjunge „dem Führer gehörte".
46 Zit. bei Ueberhorst 24.
47 Shirer 259.
48 Michaud 353.
49 Michaud 357.
50 Picker, Das Ende vom Lied? Auf S. 49 holte er diesen Brief im vergangenen Jahr (2006) nach.
51 Ds. S. 29.
52 Salzer – Interview S. 3.
53 Salzer – Interview S. 6.
54 Bernhard Rust, Erziehung zur Tat, Rede am 22. April 1941. Zit. bei Ueberhorst 48.
55 Feller 172.
56 Jgm. – Zgf. P. F. in: Die Fackel, 17. Kriegsfolge (März 1944) S. 37. Zit. bei Ueberhorst 381.
57 Rede in Reichenberg am 14. 12. 1938. Zit. bei Michaud 350.
58 Elternbrief Tilsit, Arbeitsjahr 1938/39 S. 5. Zit. bei Feller 173 (im Archiv des Verfassers).
Hervorhebung durch mich.
59 Michaud 351.
60 Vgl. Salzer – Interview S. 4.
61 Salzer – Interview S. 1
62 Vgl. Pine 57.
63 Vgl. R. Gellately, The Gestapo and German Society (Oxford 1990) 156. Zit. bei Pine 57.
64 Überhorst 436. In einem Brief vom 17.4. 68 an den Verfasser bezeichnet Dr. M.H. als
positiv: die Schülerauslese, die vielseitigen Ausbildungsmöglichkeiten, die Wanderungen
und Fahrten, sowie die finanzielle Dotierung. Als negativ die zu frühe Aufnahme, die einseitige
politische und kulturelle Ausrichtung und ungeeignete Erzieher (vor allem während des Krieges).
65 Picker, Das Ende vom Lied? S. 40.
66 Kocab, Interview mit G. G. 140, 141.
67 Kocab, Interview mit D. R. 141.
68 Kocab, Interview mit G. G. 127.
69 Feller, 210. Interview Nr. 9.
70 Kocab, Interview mit D. R. S. 127.
71 Feller 143.
72 Zit. bei Kocab 75 – 78. Das Merkblatt ist gezeichnet: Für die Leiter der Nationalpolitischen
Erziehungsanstalten. Gez. Lübbert, Oberregierungsrat.
73 Besprechungsniederschrift von Hundertschaftsführer Drews, zit. bei
Ueberhorst 114 – 116. (Hervorhebungen durch mich).
74 „Die Adolf-Hitler Schule im Jahre 1941" S. 7. Zit. bei Feller 128-129.
75 Schreiben von Himmler an Heißmeyer am 30.6.42 Zit. bei Ueberhorst 170.
76 Feller 212. Interview Nr. 6.
77 Überhorst 41.
78 Vgl. Picker – Interview S. 4.
79 Haupt 1936, zit. bei Schmitz 286.
80 Haupt war 1931 als Studienassessor wegen nazistischer Beeinflussung der Schüler
und homosexueller Beziehungen entlassen worden, wurde 1933 Ministerialrat, dann
kurzzeitig Inspekteur der "Landesverwaltung der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten"
und im November 1935 auf Drängen Himmlers entlassen, weil Haupt die NPEA als staatliche
Einrichtung erhalten wollte und ihre Übernahme durch die HJ und die SS ablehnte 1938 aus
der NSDAP ausgeschlossen. Zit. aus www.akens.org. (Anmerkungen).
81 Picker – Interview S.4.
82 Daurer / Held 98. Zit. nach Gamm (1964).
83 Schneider 41.
84 Picker – Interview S. 4.
85 Vgl. Salzer – Interview S. 2.
86 Ds. S. 4.
87 Michaud 368.
88 Vgl. Schmitz 281.
89 Tenorth 123.
90 Festschrift Plön S. 10 ,11. Zit. bei Schmitz 280.
91 Vgl. Ueberhorst 38.
92 Schmitz 292.
93 Siehe Zitate 69 u. 70.
94 Feller 129.
95 Picker – Interview S. 5.
96 Picker - Interview S. 4.
97 Daurer / Held 164.
98 Kopp 197.
99 ds. (Hervorhebung durch mich).
100 „Die innere Front" 2.3. 1943 zit. bei Feller 118.
101 Feller 212 Interview Nr. 16
102 ds. 98
103 Bedaria 159.
104 Picker – Interview S. 1.
105 Uriel TAL, Forms of Pseudo-Religions in the German „Kulturbereich" Prior to the Holocaust.
In: Immanuel Nr. 3 (1973-1974). Zit. bei Bedarida 163.
Das im Internatsleben „übliche Heimweh" wurde im NS-Erziehungswesen nicht nur durch die systematische
„Verplanung der restlichen Freizeit" verstärkt, sondern auch durch die Zensur der schriftlichen
Kontakte. Picker ist als ehemaliger NAPOLA-Schüler Interviewpartner in diesem Forschungsprojekt.
2 Mitscherlich 188
3 Tenorth 122
4 Fest 1073
5 Pine 8.
6 Hitler,„Politisches Testament“ (4.2.1945). Zit. bei Fest 1046 (Hervorhebung durch mich).
7 Ueberhorst 44
8 Ueberhorst 216
9 dessen zunehmendes Fehlen ja Mitscherlich als wesentlich für die Ausformung der „vaterlosen
Gesellschaft" beschreibt. Vgl. Mitscherlich 188
10 wenn auch mit der Zielsetzung, dass die Napola –Schüler sich später – „als Chefs" – mit der
Arbeit der dann ihnen Anvertrauten praktisch auskennen sollten.
11 Hitler- Rede am 10.12.1940. Zit. in Ueberhorst 95.
12 Hitler, Mein Kampf 452.
13 Ds. 475 (Hervorhebung durch mich).
14 Ds. 476 (Hervorhebung durch mich).
15 Tenorth 123.
16 Ueberhorst 181. Die „vaterlose Gesellschaft" als Folge rassischer oder politischer Verfolgung
bleibt aus dieser Arbeit bewusst ausgeklammert.
17 Vgl. Tenorth 124.
18 Schulkonferenz Verhandlungen I (1890) 440 ff. Zit. bei Schmitz 99.
19 Hermann Heuer, Englische und deutsche Jugenderziehung. In: Zeitschrift für neusprachlichen
Unterricht, Hg. V. M. Löpelmann, Berlin Bd. 36, Jg. 1937 S. 215 ff. Zit. bei Ueberhorst 55.
20 Vgl. Interview Picker S. 4.
21 Haupt 1936. Zit. bei Schmitz 287 (Siehe zu Haupt auch Fußnote 80).
22 Schmitz 299, der darauf hinweist, dass Entwürfe zur Reform der Lehrerbildung aus dem Jahr
1941 zeigen, dass „an in seinen Zielvorstellungen durchaus den Volksschullehrer des 19. Jahrhunderts
vor Augen hatte".
23 Tenorth 82.
24 Gall 222.
25 Ueberhorst 147: in einem Brief vom 7.5.1940 schreibt Himmler, er bitte „.. den Herren in aller
Freundlichkeit aber klar zu sagen, dass ich die Erziehungsrichtlinien in den Nationalpolitischen
Erziehungsanstalten bestimme und nicht das Heer".
26 Ueberhorst 135.
27 Daurer / Held 30 – 36.
28 Rede Schirachs in Waldbröl, 15. 1. 1938. Zit. bei Feller 120. Dazu wird die österreichische Reichspost
vom 18. Jänner 1938 zitiert: „genau betrachtet, ein erschreckendes Geständnis: Man gibt zu ein Neues, ein
Experiment im Erziehungswesen begonnen zu haben".
29 Feller 121.
30 Feller 194.
31 Tenorth 85.
32 Salzer - Interview S 2.
33 Picker – Interview S. 6..
34 Gall 218.
35 Michaud 370 ( Fußnote) zitiert J. Toland, Adolf Hitler (Bergisch Gladbach 1977 S. 539, wonach
Kinder in Köln vor dem Essen folgendes Gebet sprechen mussten: „Führer, mein Führer, den der Herr
mir geschenkt hat / Schütze und erhalte mich, solange ich lebe / Du hast Deutschland aus tiefster
Not gerettet / Ich danke dir heute für mein täglich Brot / Beschütze mich und lass mich nicht im Stich /
Führer, mein Führer, mein Glaube und mein Licht / Heil, mein Führer!"
36 Picker – Interview S. 4.
37 Salzer – Interview S. 5.
38 Mitscherlich 179. Vgl. dazu auch Sieder 214.
39 Held / Daurer 49 (in Anlehnung an Theodor Adornos Schrift „Erziehung nach Auschwitz").
40 Abb. bei Michaud 353. Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum.
41 Abb. bei Pine 59. Aus: H. Schulz, Mühlenfibel (Braunschweig 1935). Siehe Anhang
42 Schulbuchlied, 2. Strophe, präsentiert im Forschungsseminar, aus Barbara James, „der Kaiser
ist ein lieber Mann ...". Schullieder auf Kaiser Wilhelm. In: Sabine Schutte (Hg.), Ich will aber gerade
vom Leben singen. Über populäre Musik vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende der
Weimarer Republik (Hamburg 1987) 169-186, hier 174f. Den Angaben der Autorin zufolge
stammt der Text ursprünglich aus Rudolph Palme (Hg.), Sangeslust. Sammlung gemischter
Chorgesänge für Gymnasien und Realschulen (Leipzig, 2. Aufl. 1886) 298f.
43 Pine 64 mit dem Hinweis auf K. Eckhardt / A. Lüllwitz, Fröhlicher Anfang,. Ein erstes Lesebuch
(Frankfurt/M: 1939) s. 60
44 E. Flieder, Nationalsozialistisches Bildungswesen (Amsterdam 1938) zit. bei Michaud 346.
45 Shirer 244. Dass dies jeweils am 20. April („Führers Geburtstag") erfolgte, sollte durchaus
vermitteln, dass der Hitlerjunge „dem Führer gehörte".
46 Zit. bei Ueberhorst 24.
47 Shirer 259.
48 Michaud 353.
49 Michaud 357.
50 Picker, Das Ende vom Lied? Auf S. 49 holte er diesen Brief im vergangenen Jahr (2006) nach.
51 Ds. S. 29.
52 Salzer – Interview S. 3.
53 Salzer – Interview S. 6.
54 Bernhard Rust, Erziehung zur Tat, Rede am 22. April 1941. Zit. bei Ueberhorst 48.
55 Feller 172.
56 Jgm. – Zgf. P. F. in: Die Fackel, 17. Kriegsfolge (März 1944) S. 37. Zit. bei Ueberhorst 381.
57 Rede in Reichenberg am 14. 12. 1938. Zit. bei Michaud 350.
58 Elternbrief Tilsit, Arbeitsjahr 1938/39 S. 5. Zit. bei Feller 173 (im Archiv des Verfassers).
Hervorhebung durch mich.
59 Michaud 351.
60 Vgl. Salzer – Interview S. 4.
61 Salzer – Interview S. 1
62 Vgl. Pine 57.
63 Vgl. R. Gellately, The Gestapo and German Society (Oxford 1990) 156. Zit. bei Pine 57.
64 Überhorst 436. In einem Brief vom 17.4. 68 an den Verfasser bezeichnet Dr. M.H. als
positiv: die Schülerauslese, die vielseitigen Ausbildungsmöglichkeiten, die Wanderungen
und Fahrten, sowie die finanzielle Dotierung. Als negativ die zu frühe Aufnahme, die einseitige
politische und kulturelle Ausrichtung und ungeeignete Erzieher (vor allem während des Krieges).
65 Picker, Das Ende vom Lied? S. 40.
66 Kocab, Interview mit G. G. 140, 141.
67 Kocab, Interview mit D. R. 141.
68 Kocab, Interview mit G. G. 127.
69 Feller, 210. Interview Nr. 9.
70 Kocab, Interview mit D. R. S. 127.
71 Feller 143.
72 Zit. bei Kocab 75 – 78. Das Merkblatt ist gezeichnet: Für die Leiter der Nationalpolitischen
Erziehungsanstalten. Gez. Lübbert, Oberregierungsrat.
73 Besprechungsniederschrift von Hundertschaftsführer Drews, zit. bei
Ueberhorst 114 – 116. (Hervorhebungen durch mich).
74 „Die Adolf-Hitler Schule im Jahre 1941" S. 7. Zit. bei Feller 128-129.
75 Schreiben von Himmler an Heißmeyer am 30.6.42 Zit. bei Ueberhorst 170.
76 Feller 212. Interview Nr. 6.
77 Überhorst 41.
78 Vgl. Picker – Interview S. 4.
79 Haupt 1936, zit. bei Schmitz 286.
80 Haupt war 1931 als Studienassessor wegen nazistischer Beeinflussung der Schüler
und homosexueller Beziehungen entlassen worden, wurde 1933 Ministerialrat, dann
kurzzeitig Inspekteur der "Landesverwaltung der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten"
und im November 1935 auf Drängen Himmlers entlassen, weil Haupt die NPEA als staatliche
Einrichtung erhalten wollte und ihre Übernahme durch die HJ und die SS ablehnte 1938 aus
der NSDAP ausgeschlossen. Zit. aus www.akens.org. (Anmerkungen).
81 Picker – Interview S.4.
82 Daurer / Held 98. Zit. nach Gamm (1964).
83 Schneider 41.
84 Picker – Interview S. 4.
85 Vgl. Salzer – Interview S. 2.
86 Ds. S. 4.
87 Michaud 368.
88 Vgl. Schmitz 281.
89 Tenorth 123.
90 Festschrift Plön S. 10 ,11. Zit. bei Schmitz 280.
91 Vgl. Ueberhorst 38.
92 Schmitz 292.
93 Siehe Zitate 69 u. 70.
94 Feller 129.
95 Picker – Interview S. 5.
96 Picker - Interview S. 4.
97 Daurer / Held 164.
98 Kopp 197.
99 ds. (Hervorhebung durch mich).
100 „Die innere Front" 2.3. 1943 zit. bei Feller 118.
101 Feller 212 Interview Nr. 16
102 ds. 98
103 Bedaria 159.
104 Picker – Interview S. 1.
105 Uriel TAL, Forms of Pseudo-Religions in the German „Kulturbereich" Prior to the Holocaust.
In: Immanuel Nr. 3 (1973-1974). Zit. bei Bedarida 163.
Anhang
Interview mit Dr. Richard Picker (5.Mai 2007)
Waren Sie aus heutiger Sicht als Napola - Schüler auf dem Weg in eine
„vaterlose Gesellschaft"?
Wenn ich an mich denke: mein Vater ist eingerückt, ich war neun Jahre, ich
habe ihn nie wieder gesehen. Er war natürlich eine Größe, er hat Briefe
geschrieben etc., aber er war nicht da. Und das, was von ihm da war, war die
offizielle Version: halte durch, folge dem Führer, und so ähnlich, aber nicht
zum Beispiel: du bist mein lieber Bub. Denn das wäre ja gegen die
Staatsideologie gewesen. Er hat mir sogar noch ein Kindergedicht geschrieben aus
dem Feld: „Lieber Rix, lernst du nix, kriegst du Wichs". Nun – aus heutiger
Sicht denke ich: bitte schreib mir was anderes, als so etwas. Aber in dem Sinn
war es eine vaterlose Gesellschaft.
Haben die Nationalsozialisten versucht, statt des Vaters mit dem „Führer"
eine Art „Supervater" zu installieren?
Der Hitler war das höchste. Wir hatten ein Bild an der Wand, das Hitlerbild.
Und davor ein paar Blumerln; er hat also exakt die Position gehabt, die in
Bauersfamilien im Waldviertel zum Beispiel der Herrgottswinkel hatte oder so.
Wenn das Deutschland – Lied ertönte im Radio, was ja so öfter der Fall war, dann
hatte ich zu stehen, mit fünf Jahren, mit sieben Jahren, mit neun Jahren – mit
der Hand zu „Deutschen Gruß" < hebt den rechten Arm>, hatte anständig zu
stehen, und habe abzuwarten gehabt, bis dieses Lied aus war. Wenn der Hitler
eine Ansprache gehalten hat – also erstens einmal durfte ich nicht „Hitler"
sagen sondern „unser Führer", das war einmal ganz klar; auch nicht „der Adolf"
oder so irgendwie, das war alles schon an der Kippe des Verächtlichen und
irgendwie schon Verdächtigen. Also, wenn unser Führer eine Ansprache gehalten
hat, dann habe ich zwar nicht stehen müssen, aber still beim Lautsprecher zu
sitzen – und das habe ich anzuhören gehabt. Auch mein Vater hat das gemacht,
auch meine Mutter hat das gemacht. Und so war das eigentlich fraglos: der Führer
war eine fraglose und psychisch gesprochen göttliche Größe in der Wirkung
<greift mit der Hand ans Herz>. Und - es gab gar keine Konkurrenz zu
meinem Vater, denn der hat absolut den Führer vertreten, der war deckungsgleich,
der Führer. Das ärgste, was mir hätte passieren können ist, dass mein Vater
gegen den Führer etwas getan hätte. Und es gibt einen einzigen Punkt, der mir in
Erinnerung ist, und das war: mein Vater hat die Noten von Felix
Mendelsohn-Bartholdy nicht fortgeworfen, also namentlich den „Elias" nicht
fortgeworfen. Als Sängerknabe, als ehemaliger, war ihm das so vertraut, das
konnte er einfach nicht. Aber alles andere ist gesäubert worden. Also. ich hab da
gar kein ....... das war absolut männlich: Vater, Führer. Und wie dann der Vater
eingerückt war, habe ich ja nur staatstragende Mitteilungen bekommen in den
Briefen: benimmt dich, beherrsch dich, beherrschen ist ein deutsches Wort, sei
ehrlich. Nicht, alles das: der Führer weiß, was er tut. Also lauter Staatsparolen,
die man im Grunde genommen auch in der Zeitung lesen konnte, hätte ich sie
lesen wollen - damals schon.
Ein wesentliches Erziehungskriterium in der Napola war die im Prinzip
soldatische Ausbildung – weg von den sogenannten Muttersöhnchen - unter dem
Motto: „Hart wie Kruppstahl – zäh wie Leder, der Führer braucht ganze Männer".
Wie sind sie damit zurechtgekommen?
Wer nicht einmal Schamhaare hatte und einen kindlichen Penis – was will der
schon? Das klingt vielleicht ein bisschen komisch, aber das spielt eine Rolle.
Und mein Vater hatte natürlich einen Penis und Schamhaare, denn der hat mit mir
nackt geturnt in der Früh. Zuhause in der Rheinlandstraße 10 in Eisenstadt. Das
ist ein Dauerbild <wachelt mit der Hand vor der Stirn>. Der ernsthafte
Vater, der nackt mit mir Armkreisen macht und fünfzig Kniebeugen – und was man
halt so tut – Rumpfdrehen laut Müllers Morgensport. Und die Mutter: die war eine
eigene Welt, die musste nie nackt gehen bei uns. Die durfte ein weißes Nachthemd
anhaben und hat auch nie mitgeturnt. Hingegen ich bin mit meinem Vater immer auf
der Ebene des Trainings, des Mutes usw. zusammengekommen. Abhärtung! Es gibt
noch ein kleines Stückerl, da habe ich meinen Vater wirklich gemütvoll erlebt:
das war, wenn er musiziert hat, er hat Viola gespielt, und hat zum Beispiel in
so einem Laienstreichquartett mitgespielt. „Das Veilchenquartett" von Mozart.
Das war irgendwie seltsam.
Wie sind sie denn - angesichts ihres Elternhauses und ihrer Erziehung -
eigentlich vom Führerkult weggekommen. War das ein weiterer „Vaterverlust"?
Ja, was soll man da jetzt sagen: also galt es Abschied zu nehmen – und dann
bin ich eben ein Christ geworden, im Waldviertel. Ich habe, wenn man so will,
den göttlichen Hitler durch den katholischen Glauben ersetzt. Das kann man so
sehen, wenn man will, als Bub. Aber es ist nicht so einfach – das ist eine zu
einfache Lösung. So simpel war das ja nicht. Denn der katholische Glaube, so
wie er mir gegenüber getreten ist, war bäuerlich und simpel. Das sind so wacklige
Prozessionen zu Fronleichnam, ich meine: man muss sich vorstellen, was das für
einen Napola -Schüler ist, der weiß, wie eine Parade ausschaut und wie ein
Morgenappell abzuführen ist – und dann sieht man so ein paar Ministranten
mit G’wandeln, die so weibisch ausgeschaut haben. Das war ein herber Sprung
von dieser Großartigkeit des Nationalsozialismus zu dieser totalen Hinfälligkeit –
vergleichsweise – der katholischen Kirche. Für mich war das aber eine Art Sicherheit
weil: was rauskommt, wenn man so hindonnert mit SA, SS und was weiß ich noch,
Geschütze, Salve wird abgegeben, irgend jemand brüllt ins Mikrofon – im Vergleich zu so
einem Landpfarrer, der da irgend ein Lied singt, ein Kirchenlied mit den Leuten
und den Kirchenfahnen: das ist die vergleichsweise totale Machtlosigkeit in der
Erscheinung. Und irgendwie war mir das wegen des Gemütsinhaltes – die
Marienlieder, die Herz-Jesu-Lieder, die Gebete, die Bauern mit dem Sing-Sang
beim Rosenkranz – das ist mir nahe gegangen und das gab es alles im Hitler-Reich
nicht, sondern da gab es den Heldentod, Anspannung aller Kräfte, Treue,
Verantwortung, und so. Das war die weibliche Seite, die mir da entgegengetreten
ist.
Das heißt, es ist praktisch die nationalsozialistische Erziehung den Buben
gegenüber eine brutal männliche gewesen. Kann man das so nennen?
Ja, das kann man sagen. Das kann man wirklich sagen. Unter Ausblendung des
Weiblichen und einer Totalidentifikation mit dem Führer und dem Reich.
Ich wollte das noch hinzufügen, das ich vielleicht nicht oft genug erwähnt
habe bisher, wo ich mich geäußert habe: die Napola hatte offene Türen, man
konnte jederzeit – wenn man überhaupt den Gedanken fassen wollte – aus der
Napola fortgehen. Ich bin nie auf den Gedanken gekommen, aber ich habe
Klassenkameraden, die sind auf diesen Gedanken gekommen. Einer ist jeden Sonntag
in die Kirche gegangen in Traiskirchen, hat sich ordnungsgemäß abgemeldet, wurde
nicht gehindert, durfte hinausgehen, hat sich wieder zurückgemeldet, wenn er
fertig war damit. Nur wir wussten das nicht – er hat darüber natürlich nicht
gesprochen.
In der Hitlerjugend, aber auch in einigen Napolas wurde nach dem Prinzip der
"Selbsterziehung" – Junge erziehen Junge – vorgegangen. Konnte man damit im
Nationalsozialismus die Söhne den Vätern „entfremden"?
Das stammt aus der Jugendbewegung, Wandervogel, ich nenne nur die Stichworte,
neudeutsche Jugend, Wandervogel usw., die ja zum Teil in der Widerstandsbewegung
gegen Hitler sogar waren, aber natürlich nur kleine Gruppen. Also gut: die haben
die Ideologie gehabt: Jugend erzieht die Jugend. Das Jugendreich: der jüdische
Philosoph, Psychoanalytiker und Pädagoge Siegfried Bernfeld, der Vater der
Kibbuzim – Bewegung Israels, das ist ja eigentlich in Hietzing ein Wiener jüdischer
Mittelschüler gewesen, Sekretär vom Freud, der hat dann resigniert – ich sag nur: das
hat eine durchgehende Wurzel. Und das war eine Konkurrenz zum Elternhaus: das
Elternhaus war scheiß – bürgerlich, das war irgendwie ein Pathos, und diese „Jugend
führt die Jugend" war natürlich stark homophil. Vielleicht nicht offen, das kann ich nicht
abschätzen, aber mentalitätsmäßig auf jeden Fall.
Also: „ein so schöner junger Mann, der soll jetzt einem Mädchen anheim fallen
– nein! Das kann nicht sein". Wie soll man so einen Satz verstehen, außer durch
eine überstarke homophile Identifizierung. Und der Führer einer Jugendgruppe hat
eine eigene Ideologie gehabt: die Gruppe ist für den Führer da, nicht der Führer
für seine Gruppe. Die Gruppe sind zehn Leute gewesen oder 15 Leute. So dass der
Führerkult des Adolf Hitler und der Führerkult der deutschen Jugendbewegung
enorm viel Parallelen gehabt haben, das ist ja nicht so. Man wundert sich, wieso
das Deutsche Reich abgefahren ist auf Adolf Hitler und seine Führerideologie.
Also so ist es nicht so ein großer Schritt, an den Führer des Deutschen
Reiches zu glauben. Ich weiß, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass der
Mann jemals stirbt.
Der Erzieher in der Napola hat ja eine gewisse „Ersatzvater" – Funktion
innegehabt. Wie war das Verhältnis zum Erzieher?
Erstens einmal: Gehorsam. Zweitens einmal: man muss schauen, dass man - was
man so Wienerisch sagen würde – eing’haut ist bei ihm. Man darf ihn nicht
aufbringen gegen sich selber. Korrekt! Korrekt!
Und hat’s da „Watschen" auch gegeben?
Ja sicher. Aber nicht mir gegenüber. Ich war viel zu korrekt. Und dann: die
„Watschen" sind meist den Hilfserziehern – da gab es den Haupterzieher für einen
Zug und darunter so Helfer. Die waren oft aus den achten Klassen, oder wurden
aus den siebenten Zügen genommen – und die haben eher Ohrfeigen ausgeteilt.
Das heißt, die Erzieher haben sich aus den Züchtigungen, die ja in den
Familien vor allem dem Vater zugeordnet wurden, eher herausgehalten?
Der Erzieher hat gesagt: das und jenes ist passiert: „Salzergasse"! Also
musste der Täter durch eine Gasse von uns durch und jeder musste ihm so gut er
konnte auf den Rücken dreschen. Oder gar mit einer Gerte oder so. Altes
preußisches Ritual: die Salzergasse. Das gab’s eine ganze Reihe. Oder der
Watschenkampf zum Beispiel war so etwas: wenn zwei gut befreundet waren und beim
Appell getratscht haben statt die Fahne zu grüßen, oder so etwas,
dann mussten die vor die Einheit: Watschenkampf! Sie mussten sich
wechselseitig einmal der eine und dann der andere wirklich „abwatschen", so
lange, bis einer geweint hat oder zusammengebrochen ist. Es hat also nichts
genützt, wenn jemand weich hinhaut. Es war gut,
wenn man jemanden geschwind zum Weinen bringt, dass es endlich ein Ende hat.
Das war natürlich die Zerstörung persönlicher Freundschaften.
Wie haben Sie persönlich die körperliche und kommunikative Entfernung vom
Elternhaus erlebt?
Also ich habe zu denen gehört, die stark Heimweh hatten, aber ich war damit
natürlich in der Mehrheit. Die meisten haben Heimweh gehabt in irgend einer
Stärke. Und das war ein schreckliches Gefühl, weil man dagegen nicht viel machen
konnte. Was hätte ich tun sollen? Natürlich, ich kann um den Häuserblock laufen,
aber das ändert nichts. Und – die Entfremdung war wirklich groß und die Ebene
war: „Mach’ uns keine Schande"! Wenn ich also mit einem annehmbaren
Dienstzeugnis nach Hause komm und einem Dienstgrad vielleicht sogar verliehen
bekommen habe – war schwer aber es war nicht unmöglich - dann war natürlich in
meinem Fall in Eisenstadt die Familie Picker einen Stock höher. Denn: mein Vater
war in der Eisenstädter Bank angestellt und hat in der Partei den Kassier
abgegeben. Also: jetzt kommt der Picker aus der Napola, des Bürscherl, aber der
ist jetzt wer. Und das haben die Eltern geschätzt. D a s haben sie geschätzt:
ein anständig, strammer deutscher Junge, der dem Führer, dem Volk und dem
Vaterland Ehre machen wird.
Durchbrochen hat das die alte Generation, zum Beispiel meine Großmutter. Die
war eine alte Sozialistin, die war eine herzensgute Arbeitersfrau eigentlich,
und die hat mir Zuckerl geschenkt und hat gesagt: „Na Mandi, wie geht’s dir
denn?" Das sind ja lauter Vibrationen im Ohr, die es ja offiziell nicht gab. Und
meine andere Großmutter, die väterliche, das war so eine waldviertler
christliche Bauersfrau eigentlich, die hat sich so ein bisschen ein städtisches
Ansehen gegeben, die hat mir immer ein Kreuzerl auf die Stirn gemacht. Das
ist ein echter Bruch in der Kontinuität dieser Vater-Ersatz oder Hitler – Vater
– Religion.
Der Hitler ist eigentlich, möchte ich sagen, uns gegenüber eigentlich nicht
als Vater bezeichnet worden, sondern als Führer. Das ist schon ein Unterschied.
Man konnte nicht sagen er ist ein Un-Vater, aber er ist vor allem ein Führer.
Jemand, der dem Volk vorangeht. Wo steht der Feind? Im Osten! Dort zum Beispiel,
dort geht er voran.
Kann man sagen, dass die Nationalsozialisten bewusst versucht haben, den
Eltern die Kinder zu nehmen?
Man kann sagen, dass Hitler in einigen Reden – das ist auch dokumentiert –
vielleicht in unkontrollierten Ausbrüchen seiner Person dabei, dieses Konzept so
gesagt hat: wir nehmen sie in die Hand im Jungvolk, zum Beispiel der
Hitlerjugend, reichen sie weiter dorthin, und wenn sie dort durch sind, reichen
sie weiter – zum Beispiel mit 18 – zu dem
Reichskraftfahrkorps, zur Wehrmacht natürlich. Und er hat hinzugesetzt: Wenn
wir sie in der Hand haben, dann lassen wir sie nie wieder los.
Ich glaube also, dass die Familie rein die Produktionsstätte
nationalsozialistischer Helden – (Militär – Heldentod) - oder Frauen: „der
Führer braucht Soldaten" war. Dort ist das hingegangen. Und dazwischen gab es
„Kraft durch Freude" und die wundervolle Gymnastik, was die Leni Riefenstahl
filmisch dargestellt hat – das gab’s alles. Aber die Familie hat eigentlich
wenig zu sagen gehabt und ist immer konkurriert worden. Es hat kaum jemand
gesagt, frag deine Mutter und frag deinen Vater, sondern: der Führer sagt, der
Reichsleiter Baldur von Schirach sagt, Hermann Göring hat gesagt – es war eine
schrecklich fundamentalistische politische Kirche.
Aber wirksam?
Nun, das ist das was mich so entsetzt. Denn es ist eine so wirksame Pädagogik
gewesen. Die Zeit war ja nicht lang. Die war in Österreich sieben Jahre, und in
Deutschland sagen wir ab 1924. Das ist eigentlich nicht lang. Wieso war es
möglich, dass man ein Volk so in den Griff kriegt? Ja, es war möglich, und ich
halte das ehrlich gesagt – als Theologe – würde ich mir das alte Wort der
Dämonie ausborgen. Ein dämonisches Etwas.
Das ist auch so wie der Reichsleiter Speer, der große Baumeister, gesagt hat:
er ist ein Nazi geworden, weil er den Hitler eine Stunde reden gehört hat – und
das war’s dann. Die Stimme war’s. Und das ist das, was mich als Therapeut so
fasziniert aber auch unglaublich erschreckt.
Wann und wie ist ihnen eigentlich die Erkenntnis gekommen, dass sie
indoktriniert und manipuliert worden sind?
Ein Schimmer dieser Veränderung war der Mendelsohn – wieso mein Vater die
Mendelsohn-Noten hat. Man konnte ihn ja eigentlich anzeigen, denn das war
verboten. Ich wusste, was in seinem Bücherkasten war. Der war nicht sehr groß,
aber es war ein Mendelsohn drinnen. Da hat das angefangen. Und dann ist nach und
nach – nach dem 45-er Jahr Schichte für Schichte
einfach zerbröselt. Ich glaube, eines dieser ganz wesentlichen Dinge war,
dass wir auf der Flucht durch Mauthausen durch mussten, und ich musste die
Sträflinge, die eben Entlassenen, die KZ-Häftlinge muss man ja sagen, weil es
waren ja keine Sträflinge, überwiegend, die sind vielleicht gerade vor zwei,
drei Tagen erst freigekommen, haben entsprechend gewirkt, körperlich, und so,
und es war unzweifelhaft ein KZ. Das konnte niemand mehr leugnen, ich auch
nicht, auch meine Mutter nicht. Das war einmal der erste große Zusammenbruch.
Dann hat meine Mutter versucht, alle politisch Tätigen damals als Verräter und
Feiglinge zu bezeichnen – und so ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg auch beim
Zweiten: die verratene Deutsche Armee, natürlich an der Spitze die wundervolle SS,
das war überhaupt das höchste, und ein bisserl noch die Flieger, Piloten, Jagdflieger,
das war so: Hermann Göring, der mythische Hermann Göring, der Udet und alle
diese Leute – das geht ja bis heute so, wenn man es genau überlegt. Gut – das
ist schichtweise weniger geworden, schichtweise weniger.....
Aber noch nicht in der Napola?
In der Napola überhaupt nicht. Ich hab’s ja gar nicht gesehen. Es gab noch
eine andere Erschütterung: man gab mir eine Stange Wurst in die Hand und eine
Bestätigung – einen tollen Dienstausweis und eine neue Uniform – und so bin ich
am Karfreitag entlassen worden. Und mit einem Brief wo steht, ich habe mich
bereit zu halten auf neue Befehle. Und so bin ich in Wien am Westbahnhof in die
NSV, Nationalsozialistische Volkswohlfahrt hieß das Ding, und dort habe ich
versucht, zu übernachten. Und hab als erstes meine Stange Wurst rausgenommen und
habe fest hineingebissen. Da waren jetzt Flüchtlinge natürlich, jede
Menge drinnen, die haben gesagt: „Aber Burscherl, er ist der heilige
Karfreitag, das kannst doch nicht machen.". Die hätten grad so gut chinesisch
mit mir reden können. Ich habe keine Ahnung gehabt, wieso jemand mir sagen
sollte, an einem XXX kann man nicht in eine Wurst beißen. Zum Beispiel. Und so
ist das bei vielen kleinen Anlässen gewesen, dass ich erst lernen musste,
buchstäblich erst lernen musste, wie der richtige Sprachgebrauch ist, dass man
nicht auffällt.
Interview mit Erich Salzer (22. Mai 2007)
Ihr Vater war ja überzeugter Sozialist. Wie war die Reaktion in der Familie
auf den Einmarsch 1938?
Also der Vater hat negativ reagiert, weil er sich intensiv mit Politik
beschäftigt hat. Die Mama war euphorisch, weil der Vater war jahrelang
arbeitslos und sie war sicher. dass jetzt alles besser wird. Ich war auch
euphorisch, weil ich bin ja als Nicht – Römisch-katholischer unter dem Dollfuß –
Schuschnigg – Regime gedemütigt worden, permanent.
Ich war schon interessiert, weil ich viele Freunde gehabt habe die illegal
bei der – es hat nicht Hitlerjugend geheißen damals – die einen waren bei
Jungoranier, die anderen waren beim deutschen Schulverein Südmark, das waren
lauter illegale Jugendorganisationen. Ich war nirgends dabei, aber ich habe mit
denen sympathisiert. Aber von einem Antisemitismus hat man noch nichts gehört,
ja..
Also wie das dann passiert ist – die Mama war also begeistert, ich war auch
begeistert dass endlich einmal alles anders wird – und da hat der Papa gesagt zu
meiner Mama: du wirst dich wundern, der Hitler bringt den Krieg. Das war für ihn
eine ausgemachte Sache bereits im März 38. Und wenn der Erich dann einrücken
muss, dann wird dir das „Sieg - Heil"- Schreien vergehen. Und so war es.
Gut, ich habe also begeistert meinen Dienst gemacht beim Deutschen Jungvolk,
ich war Pimpf, und durfte – das war das höchste damals – es war nur eine
Enttäuschung, in ein Führerlager in Krumpendorf am Wörthersee. Das war ja so,
als wenn ich heute einen Flug auf die Malediven gewinnen würde. So hat sich das
abgespielt. Und der Papa hat eigentlich nichts dagegen gehabt. Die Mama hat
darunter gelitten, weil sie mich immer natürlich unterstützen musste. Ich habe
immer irgendetwas gebraucht, weißes Hemd und weiße Stutzen und für das Lager
sogar ein Pyjama – ich habe doch nur ein Nachthemd gehabt, ein selbstgenähtes
aus Flanell. Und von den Ausrüstungsgegenständen, die da auf der Liste gestanden
sind, haben wir ja überhaupt nichts gehabt.
Dann war ich Pimpf bis zum 14. Lebensjahr, hatte dort verschiedene
Laufbahnen. Ich wollte halt immer bei etwas besonderen sein. Ich war erst beim
Fanfarenzug, das war recht schön, denn wenn ein Prominenter angekommen ist, sind
wir am Bahnhof gestanden und haben die Wildgänse geblasen, oder sonst etwas.
Und dann bin ich zur HJ gekommen, da habe ich auch gleich wieder geschaut,
dass ich zu seiner Sondereinheit komme. Da war ich bei der Nachrichten – HJ, da
haben wir am Schillerplatz Morsen gelernt (didadidi – didadidi <lacht>),
und das war auch noch recht halbwegs lustig. Aber dann plötzlich – wann war das?
Da glaube ich war ich in der zweiten Handelsakademie – wurde es plötzlich
Pflicht, bei der Hitlerjugend zu sein. Also – und alles,
was für mich Pflicht war, so wie im Dollfuß – Schuschnigg – System war
Pflicht, am Sonntag in die Kirche zu gehen, da hast du einen Stempel gekriegt,
den du vorweisen musstest – und dann war plötzlich Pflicht, bei der Hitlerjugend
zu sein. Also das ist auch von der Schule her kontrolliert worden, ja. Aber zum
Glück haben wir uns dann was einfallen lassen, also eine Crew in der Klasse, und
einer davon war der Helmut Rasper, von dem Porzellan-Rasper, der hat gesagt,
wisst was, wir machen eine Sport – HJ. Er hat in der Weyringergasse ein Lokal
aufgerissen. Da treffen wir uns einmal in der Woche, machen wir „Heimabend"
unter Anführungszeichen, und einmal in der Woche sind wir am WAC – Platz und
jeder macht was er will. Der eine geht Fußballspielen, der andere geht Laufen,
also jeder, was er will.
Und damit ist also schon ein Knick gewesen. Das war der erste Zwang, und das
hat sich ja dann weiter gesteigert. Auf einmal hast du gekriegt eine
polizeiliche Vorladung zu einer Veranstaltung im Anatomischen Institut - in der
Währingerstraße glaube ich war das – und bist dort hin gekommen und dort hat es
„gewurlt" von SS-Leuten und auf der Bühne ist ein SS-Offizier gestanden und hat
gesagt: liebe Freunde, wir zeigen euch jetzt einen Film über die Waffen-SS, das
ist das Beste ungefähr was es gibt, wir sind eine vollmotorisierte Einheit, bei
uns geht niemand zu Fuß, und, und, und. Also schaut euch das einmal an, ja. Da
haben wir uns den Film angeschaut, und dann hat man gesagt, so, es kriegt jeder
einen Bogen, den er ausfüllen kann und unterschreiben – und dann hat er sich zur
Waffen-SS gemeldet.
Na, da hat es schon ein paar Übereifrige gegeben – also einige habe ich
gekannt, über die ich mich gewundert habe. Sind die deppert geworden, die melden
sich da gleich? Und dann haben sie gesagt: wer nicht unterschrieben hat, der
kann jetzt nach Hause gehen. Haben wir gesagt, leiwand, jetzt können wir z’ Haus
gehen. Und beim Ausgang stand wieder rechts und links ein SS-Mann, und die haben
dann gesiebt: „die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen". Und einige
ließen sie gehen, aber alle anderen, die also halbwegs gesund und vital
ausgeschaut haben, haben sie wieder zurückgeschickt. Dazu habe auch ich gehört,
dann bist wieder hineingekommen und auf einmal ist rechts von mir ein SS-ler
gesessen, links von mir ein SS-ler, und der hat gesagt: so, und jetzt machen wir
das miteinander. Wie heißt du,
wann bist du geboren, und, und – und jetzt unterschreib! Ich habe gesagt:
nein, das mach ich nicht. Ja wieso nicht? Sage ich, ich kann doch nicht ohne
meine Eltern zu fragen das unterschreiben. Hat er gesagt: Ja, wenn’st ein
„Mensch" hast, wirst bestimmt nicht deine Mama fragen. Sage ich: Sie, das Vierte
Gebot ist für mich das Höchste was es gibt ... und ich unterschreibe nicht. Aber
ich muss ehrlich sagen, mir ist schon das Wasser hinuntergeronnen, weil du hast
ja nicht gewusst, wie das weitergeht. Die waren ja nicht freundlich mehr dann,
die sind ja immer energischer geworden. Aber letztendlich haben sie mich dann
doch nach Hause gehen lassen.
In welchem Jahr war denn das?
Na ja, das muss gewesen sein 42.
Mit 16?
Ja, ja.
Angesichts der unterschiedlichen Einstellungen zum NS-Regime: hat es da nie
Diskussionen in der Familie gegeben?
Es hat eigentlich in der Familie, Gott sei Dank muss ich sagen, nie
Differenzen gegeben – auch so lange ich noch sehr begeistert war. Na, er hat
sich gedacht: der Bub soll seine Freude haben, wahrscheinlich. Und er wird sich
auch gedacht haben, es kann seinem Fortkommen nur nützlich sein. Aber er selbst:
ich meine, ich habe gesehen, er hat immer wieder so – es gab damals, ich weiß
nicht, woher die kamen - so Dünndruckzeitungen im Kleinstformat von den
Illegalen Sozialisten <bekommen>. Also, das hat’s gegeben, und das habe
ich auch gesehen, und das hat er vor mir – also er war sich sicher, dass wenn
ich so etwas sehe oder finde, dass ich ihn nicht „vernadern" würde – so wie es
ja im Altreich üblich war. Und ich habe ja gesehen, wie ich dann Soldat wurde,
das Gespräch mit Gleichaltrigen aus dem Altreich, aus dem sogenannten, das hat’s
nicht gegeben. Weil die haben - ab 33 hat man denen das derart eingeimpft, dass
es gar nichts anderes gegeben hat.
Soweit ich das gesehen habe, wurden ja die Hitlerjungen durchaus dazu
angehalten, die Eltern zu denunzieren?
Nein. Das hat es bei uns nie gegeben. Davon habe ich auch nie etwas gehört.
Also ich meine, ich hab das wohl gehört, aus dem sogenannten Altreich, aber ich
habe in Österreich oder in
meinem Bekannten- oder Umgebungskreis habe ich nie was gehört, dass es
derartige Affären gab zwischen Eltern und Söhnen. Nein.
War eigentlich irgendwie spürbar der Versuch der HJ, einem einen Teil seiner
Freizeit wegzunehmen?
Ja, das sicher. Du musstest ja – es waren ja immer wieder Veranstaltungen, zu
denen man verpflichtet war. Wenn die gesagt haben, am Sonntag ist das oder jenes
– am Anfang war das ja noch ein bisserl lustig. Da waren meistens im Haydn-Kino
so Filmmatineen, da haben wir gesehen die Leni Riefenstahl-Filme, Triumph des
Willens, der Ruf des Glaubens, und wie die
alle geheißen haben, und Hitlerjunge Quex, diese ganzen Nazifilme haben sie
uns dort vorgeführt. Aber natürlich: es war halt ein Kino umsonst, da hat man
nicht so gelitten drunter, und die Filme waren ja auch nicht schlecht gemacht,
das war ja gekonnt, überhaupt die Leni Riefenstahl-Filme. Aber damit war der
Sonntag natürlich immer verdorben. Da war immer irgend etwas los.
Das Motto der Hitlerjugend war ja: „Jugend wird durch Jugend geführt". Hat es
dagegen auch so etwas wie eine offene oder versteckte Opposition gegeben?
Grammophon-Spielen war natürlich das „non plus ultra". Wir sind jeden Sonntag
nach Mödling gefahren, zum Schwarzen Turm oben auf die Lagerwiese, und da oben
haben wir dann die Platten gespielt. Aber schon unterwegs in der Straßenbahn
haben wir den Saint Louis Blues gespielt <lacht>. Da sind natürlich immer
im Waggon irgendwelche radikale Nazi gesessen, die explodiert sind, wenn der
Armstrong gegrölt hat damals, zum Schluss. Auf das haben wir immer gewartet,
wenn der zum Schluss so richtig zu grölen begonnen hat. Aber das war schon eine
gewisse – eine Anti-Stimmung ist da schon erwacht, damals.
Da war ein Bäckermeistersohn aus Meidling, der Schumpoletz, in der Klasse –
die haben ja damals noch in der Nacht gebacken und nachmittags war die Backstube
frei - und da haben wir uns einmal in der Woche in der Backstube getroffen und
haben englische Jazzplatten gespielt am Grammophon. Das war aber nur eine kleine
Gruppe in der Klasse und da ging also so ein Kassiber herum: heute, 15 Uhr 30 –
Bäckerstube. Und – damals war er noch Regierungsrat – der Meitner <Anm.:
Klassenlehrer in der Handelsschule, von E. Salzer gesprächsweise als
"erzkonservativer Schwarzer" bezeichnet> hat das abgefangen und hat Angst
gehabt um uns dass wir politisch konspirieren, hat unsere Eltern vorgeladen.
Wenn der als Schubertbund-Präsident gewusst hätte, dass wir Jazzplatten gespielt
haben, wäre es natürlich noch ärger gewesen. Aber so hat er die Eltern gewarnt,
sie sollen aufpassen auf uns, dass wir keinen Blödsinn machen.
Die „persönliche Beziehung" zum Hitler – war das ein Führer, war das ein
Gott-Ersatz, war das ein Supervater – was war der?
Eine ähnliche Frage wurde mir neulich bei meiner Tochter in der Schule, wo
ich oft zu den Schülern rede, <gestellt>: Haben sie den Hitler je
persönlich gesehen? Habe ich gesagt: Ja. Und wie war das? Habe ich gesagt: Das
war genauso, wie wenn ihr zu einem Jazzkonzert geht. Mir ist es kalt über den
Rücken gelaufen. Der hat eine derartige – für mich, aber wahrscheinlich für alle
anderen auch – eine derartige Ausstrahlung gehabt. Die haben das ja
auch – ich weiß jetzt nicht, ob das gewollt war oder nicht – aber es war
dramatisch aufgebaut. Da ist einer in der Früh gekommen: wir müssen - morgen um
Neun sind wir alle am Ring, der Führer <hebt kurz den rechten Arm> kommt.
Sind wir alle hin. Ja – der Führer ist heute noch nicht da. Gehen wir wieder
z’Haus. Und am nächsten Tag war das selbe. Und am dritten Tag, am 13. März, ist
der endlich gekommen. Da war schon die Spannung so groß. Und auf einmal – jetzt
hast du’s schon brüllen gehört, kilometerweit – und auf einmal kommt er dann
<der rechte Arm ist erhoben>. Also es war wirklich – der Mann hat eine
Ausstrahlung gehabt, die aufgebaut wurde natürlich, ja. Aber so wie es halt
heute – ich habe das ein zweites Mal im Leben erlebt damals, da war auch während
der Nazizeit noch im Ronnacher der Gorni Cramer, das war eine Bigband, eine
italienische – und da habe ich zu zweiten Mal diesen – ist mir zum zweiten Mal
die Gänsehaut über den Rücken gerennt, so wie beim Hitler. Sonst nie wieder,
muss ich sagen. Aber, das war schon gut inszeniert, das Gaze. Du hast an jedem
Eck – und ich habe natürlich auch – ich meine, das kann man sich ja nicht
vorstellen: ich bin sogar - einer meiner Freunde hat das immer wieder mir vorgehalten –
ich bin also zu Hause wenn im Radio, Fernsehen hat’s noch nicht gegeben, eine
Übertragung war – waren ja laufend – und die haben das Deutschlandlied gespielt.
bin ich aufgestanden und hab die Hand gehoben <rechter Arm ist erhoben>.
Was hat denn da der Vater dazu gesagt?
Der war nicht dabei, ja. Aber meine Mama hab ich aufgefordert, das muss sie
auch tun. Und die hat das auch gemacht. <lacht>. Also, so fasziniert war
ich von dieser ganzen Idee – und Postkarten hast du gehabt, die hast du wo
hingestellt. Es war immer das gleiche Bild vom Hitler, es hat ihm wahrscheinlich
selber am besten gefallen. Ja.
Haben Sie du das nur gemacht, wenn er <der Vater> nicht da war?
Nein, nein. Der hätte höchstens gesagt: Bist deppert? Oder so was ähnliches.
Ja. Er hätte den Kopf geschüttelt über mich. Aber Angst hätte ich da – ich hätte
es vor ihm auch gemacht, ja
.
Waren Sie aus heutiger Sicht als Napola - Schüler auf dem Weg in eine
„vaterlose Gesellschaft"?
Wenn ich an mich denke: mein Vater ist eingerückt, ich war neun Jahre, ich
habe ihn nie wieder gesehen. Er war natürlich eine Größe, er hat Briefe
geschrieben etc., aber er war nicht da. Und das, was von ihm da war, war die
offizielle Version: halte durch, folge dem Führer, und so ähnlich, aber nicht
zum Beispiel: du bist mein lieber Bub. Denn das wäre ja gegen die
Staatsideologie gewesen. Er hat mir sogar noch ein Kindergedicht geschrieben aus
dem Feld: „Lieber Rix, lernst du nix, kriegst du Wichs". Nun – aus heutiger
Sicht denke ich: bitte schreib mir was anderes, als so etwas. Aber in dem Sinn
war es eine vaterlose Gesellschaft.
Haben die Nationalsozialisten versucht, statt des Vaters mit dem „Führer"
eine Art „Supervater" zu installieren?
Der Hitler war das höchste. Wir hatten ein Bild an der Wand, das Hitlerbild.
Und davor ein paar Blumerln; er hat also exakt die Position gehabt, die in
Bauersfamilien im Waldviertel zum Beispiel der Herrgottswinkel hatte oder so.
Wenn das Deutschland – Lied ertönte im Radio, was ja so öfter der Fall war, dann
hatte ich zu stehen, mit fünf Jahren, mit sieben Jahren, mit neun Jahren – mit
der Hand zu „Deutschen Gruß" < hebt den rechten Arm>, hatte anständig zu
stehen, und habe abzuwarten gehabt, bis dieses Lied aus war. Wenn der Hitler
eine Ansprache gehalten hat – also erstens einmal durfte ich nicht „Hitler"
sagen sondern „unser Führer", das war einmal ganz klar; auch nicht „der Adolf"
oder so irgendwie, das war alles schon an der Kippe des Verächtlichen und
irgendwie schon Verdächtigen. Also, wenn unser Führer eine Ansprache gehalten
hat, dann habe ich zwar nicht stehen müssen, aber still beim Lautsprecher zu
sitzen – und das habe ich anzuhören gehabt. Auch mein Vater hat das gemacht,
auch meine Mutter hat das gemacht. Und so war das eigentlich fraglos: der Führer
war eine fraglose und psychisch gesprochen göttliche Größe in der Wirkung
<greift mit der Hand ans Herz>. Und - es gab gar keine Konkurrenz zu
meinem Vater, denn der hat absolut den Führer vertreten, der war deckungsgleich,
der Führer. Das ärgste, was mir hätte passieren können ist, dass mein Vater
gegen den Führer etwas getan hätte. Und es gibt einen einzigen Punkt, der mir in
Erinnerung ist, und das war: mein Vater hat die Noten von Felix
Mendelsohn-Bartholdy nicht fortgeworfen, also namentlich den „Elias" nicht
fortgeworfen. Als Sängerknabe, als ehemaliger, war ihm das so vertraut, das
konnte er einfach nicht. Aber alles andere ist gesäubert worden. Also. ich hab da
gar kein ....... das war absolut männlich: Vater, Führer. Und wie dann der Vater
eingerückt war, habe ich ja nur staatstragende Mitteilungen bekommen in den
Briefen: benimmt dich, beherrsch dich, beherrschen ist ein deutsches Wort, sei
ehrlich. Nicht, alles das: der Führer weiß, was er tut. Also lauter Staatsparolen,
die man im Grunde genommen auch in der Zeitung lesen konnte, hätte ich sie
lesen wollen - damals schon.
Ein wesentliches Erziehungskriterium in der Napola war die im Prinzip
soldatische Ausbildung – weg von den sogenannten Muttersöhnchen - unter dem
Motto: „Hart wie Kruppstahl – zäh wie Leder, der Führer braucht ganze Männer".
Wie sind sie damit zurechtgekommen?
Wer nicht einmal Schamhaare hatte und einen kindlichen Penis – was will der
schon? Das klingt vielleicht ein bisschen komisch, aber das spielt eine Rolle.
Und mein Vater hatte natürlich einen Penis und Schamhaare, denn der hat mit mir
nackt geturnt in der Früh. Zuhause in der Rheinlandstraße 10 in Eisenstadt. Das
ist ein Dauerbild <wachelt mit der Hand vor der Stirn>. Der ernsthafte
Vater, der nackt mit mir Armkreisen macht und fünfzig Kniebeugen – und was man
halt so tut – Rumpfdrehen laut Müllers Morgensport. Und die Mutter: die war eine
eigene Welt, die musste nie nackt gehen bei uns. Die durfte ein weißes Nachthemd
anhaben und hat auch nie mitgeturnt. Hingegen ich bin mit meinem Vater immer auf
der Ebene des Trainings, des Mutes usw. zusammengekommen. Abhärtung! Es gibt
noch ein kleines Stückerl, da habe ich meinen Vater wirklich gemütvoll erlebt:
das war, wenn er musiziert hat, er hat Viola gespielt, und hat zum Beispiel in
so einem Laienstreichquartett mitgespielt. „Das Veilchenquartett" von Mozart.
Das war irgendwie seltsam.
Wie sind sie denn - angesichts ihres Elternhauses und ihrer Erziehung -
eigentlich vom Führerkult weggekommen. War das ein weiterer „Vaterverlust"?
Ja, was soll man da jetzt sagen: also galt es Abschied zu nehmen – und dann
bin ich eben ein Christ geworden, im Waldviertel. Ich habe, wenn man so will,
den göttlichen Hitler durch den katholischen Glauben ersetzt. Das kann man so
sehen, wenn man will, als Bub. Aber es ist nicht so einfach – das ist eine zu
einfache Lösung. So simpel war das ja nicht. Denn der katholische Glaube, so
wie er mir gegenüber getreten ist, war bäuerlich und simpel. Das sind so wacklige
Prozessionen zu Fronleichnam, ich meine: man muss sich vorstellen, was das für
einen Napola -Schüler ist, der weiß, wie eine Parade ausschaut und wie ein
Morgenappell abzuführen ist – und dann sieht man so ein paar Ministranten
mit G’wandeln, die so weibisch ausgeschaut haben. Das war ein herber Sprung
von dieser Großartigkeit des Nationalsozialismus zu dieser totalen Hinfälligkeit –
vergleichsweise – der katholischen Kirche. Für mich war das aber eine Art Sicherheit
weil: was rauskommt, wenn man so hindonnert mit SA, SS und was weiß ich noch,
Geschütze, Salve wird abgegeben, irgend jemand brüllt ins Mikrofon – im Vergleich zu so
einem Landpfarrer, der da irgend ein Lied singt, ein Kirchenlied mit den Leuten
und den Kirchenfahnen: das ist die vergleichsweise totale Machtlosigkeit in der
Erscheinung. Und irgendwie war mir das wegen des Gemütsinhaltes – die
Marienlieder, die Herz-Jesu-Lieder, die Gebete, die Bauern mit dem Sing-Sang
beim Rosenkranz – das ist mir nahe gegangen und das gab es alles im Hitler-Reich
nicht, sondern da gab es den Heldentod, Anspannung aller Kräfte, Treue,
Verantwortung, und so. Das war die weibliche Seite, die mir da entgegengetreten
ist.
Das heißt, es ist praktisch die nationalsozialistische Erziehung den Buben
gegenüber eine brutal männliche gewesen. Kann man das so nennen?
Ja, das kann man sagen. Das kann man wirklich sagen. Unter Ausblendung des
Weiblichen und einer Totalidentifikation mit dem Führer und dem Reich.
Ich wollte das noch hinzufügen, das ich vielleicht nicht oft genug erwähnt
habe bisher, wo ich mich geäußert habe: die Napola hatte offene Türen, man
konnte jederzeit – wenn man überhaupt den Gedanken fassen wollte – aus der
Napola fortgehen. Ich bin nie auf den Gedanken gekommen, aber ich habe
Klassenkameraden, die sind auf diesen Gedanken gekommen. Einer ist jeden Sonntag
in die Kirche gegangen in Traiskirchen, hat sich ordnungsgemäß abgemeldet, wurde
nicht gehindert, durfte hinausgehen, hat sich wieder zurückgemeldet, wenn er
fertig war damit. Nur wir wussten das nicht – er hat darüber natürlich nicht
gesprochen.
In der Hitlerjugend, aber auch in einigen Napolas wurde nach dem Prinzip der
"Selbsterziehung" – Junge erziehen Junge – vorgegangen. Konnte man damit im
Nationalsozialismus die Söhne den Vätern „entfremden"?
Das stammt aus der Jugendbewegung, Wandervogel, ich nenne nur die Stichworte,
neudeutsche Jugend, Wandervogel usw., die ja zum Teil in der Widerstandsbewegung
gegen Hitler sogar waren, aber natürlich nur kleine Gruppen. Also gut: die haben
die Ideologie gehabt: Jugend erzieht die Jugend. Das Jugendreich: der jüdische
Philosoph, Psychoanalytiker und Pädagoge Siegfried Bernfeld, der Vater der
Kibbuzim – Bewegung Israels, das ist ja eigentlich in Hietzing ein Wiener jüdischer
Mittelschüler gewesen, Sekretär vom Freud, der hat dann resigniert – ich sag nur: das
hat eine durchgehende Wurzel. Und das war eine Konkurrenz zum Elternhaus: das
Elternhaus war scheiß – bürgerlich, das war irgendwie ein Pathos, und diese „Jugend
führt die Jugend" war natürlich stark homophil. Vielleicht nicht offen, das kann ich nicht
abschätzen, aber mentalitätsmäßig auf jeden Fall.
Also: „ein so schöner junger Mann, der soll jetzt einem Mädchen anheim fallen
– nein! Das kann nicht sein". Wie soll man so einen Satz verstehen, außer durch
eine überstarke homophile Identifizierung. Und der Führer einer Jugendgruppe hat
eine eigene Ideologie gehabt: die Gruppe ist für den Führer da, nicht der Führer
für seine Gruppe. Die Gruppe sind zehn Leute gewesen oder 15 Leute. So dass der
Führerkult des Adolf Hitler und der Führerkult der deutschen Jugendbewegung
enorm viel Parallelen gehabt haben, das ist ja nicht so. Man wundert sich, wieso
das Deutsche Reich abgefahren ist auf Adolf Hitler und seine Führerideologie.
Also so ist es nicht so ein großer Schritt, an den Führer des Deutschen
Reiches zu glauben. Ich weiß, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass der
Mann jemals stirbt.
Der Erzieher in der Napola hat ja eine gewisse „Ersatzvater" – Funktion
innegehabt. Wie war das Verhältnis zum Erzieher?
Erstens einmal: Gehorsam. Zweitens einmal: man muss schauen, dass man - was
man so Wienerisch sagen würde – eing’haut ist bei ihm. Man darf ihn nicht
aufbringen gegen sich selber. Korrekt! Korrekt!
Und hat’s da „Watschen" auch gegeben?
Ja sicher. Aber nicht mir gegenüber. Ich war viel zu korrekt. Und dann: die
„Watschen" sind meist den Hilfserziehern – da gab es den Haupterzieher für einen
Zug und darunter so Helfer. Die waren oft aus den achten Klassen, oder wurden
aus den siebenten Zügen genommen – und die haben eher Ohrfeigen ausgeteilt.
Das heißt, die Erzieher haben sich aus den Züchtigungen, die ja in den
Familien vor allem dem Vater zugeordnet wurden, eher herausgehalten?
Der Erzieher hat gesagt: das und jenes ist passiert: „Salzergasse"! Also
musste der Täter durch eine Gasse von uns durch und jeder musste ihm so gut er
konnte auf den Rücken dreschen. Oder gar mit einer Gerte oder so. Altes
preußisches Ritual: die Salzergasse. Das gab’s eine ganze Reihe. Oder der
Watschenkampf zum Beispiel war so etwas: wenn zwei gut befreundet waren und beim
Appell getratscht haben statt die Fahne zu grüßen, oder so etwas,
dann mussten die vor die Einheit: Watschenkampf! Sie mussten sich
wechselseitig einmal der eine und dann der andere wirklich „abwatschen", so
lange, bis einer geweint hat oder zusammengebrochen ist. Es hat also nichts
genützt, wenn jemand weich hinhaut. Es war gut,
wenn man jemanden geschwind zum Weinen bringt, dass es endlich ein Ende hat.
Das war natürlich die Zerstörung persönlicher Freundschaften.
Wie haben Sie persönlich die körperliche und kommunikative Entfernung vom
Elternhaus erlebt?
Also ich habe zu denen gehört, die stark Heimweh hatten, aber ich war damit
natürlich in der Mehrheit. Die meisten haben Heimweh gehabt in irgend einer
Stärke. Und das war ein schreckliches Gefühl, weil man dagegen nicht viel machen
konnte. Was hätte ich tun sollen? Natürlich, ich kann um den Häuserblock laufen,
aber das ändert nichts. Und – die Entfremdung war wirklich groß und die Ebene
war: „Mach’ uns keine Schande"! Wenn ich also mit einem annehmbaren
Dienstzeugnis nach Hause komm und einem Dienstgrad vielleicht sogar verliehen
bekommen habe – war schwer aber es war nicht unmöglich - dann war natürlich in
meinem Fall in Eisenstadt die Familie Picker einen Stock höher. Denn: mein Vater
war in der Eisenstädter Bank angestellt und hat in der Partei den Kassier
abgegeben. Also: jetzt kommt der Picker aus der Napola, des Bürscherl, aber der
ist jetzt wer. Und das haben die Eltern geschätzt. D a s haben sie geschätzt:
ein anständig, strammer deutscher Junge, der dem Führer, dem Volk und dem
Vaterland Ehre machen wird.
Durchbrochen hat das die alte Generation, zum Beispiel meine Großmutter. Die
war eine alte Sozialistin, die war eine herzensgute Arbeitersfrau eigentlich,
und die hat mir Zuckerl geschenkt und hat gesagt: „Na Mandi, wie geht’s dir
denn?" Das sind ja lauter Vibrationen im Ohr, die es ja offiziell nicht gab. Und
meine andere Großmutter, die väterliche, das war so eine waldviertler
christliche Bauersfrau eigentlich, die hat sich so ein bisschen ein städtisches
Ansehen gegeben, die hat mir immer ein Kreuzerl auf die Stirn gemacht. Das
ist ein echter Bruch in der Kontinuität dieser Vater-Ersatz oder Hitler – Vater
– Religion.
Der Hitler ist eigentlich, möchte ich sagen, uns gegenüber eigentlich nicht
als Vater bezeichnet worden, sondern als Führer. Das ist schon ein Unterschied.
Man konnte nicht sagen er ist ein Un-Vater, aber er ist vor allem ein Führer.
Jemand, der dem Volk vorangeht. Wo steht der Feind? Im Osten! Dort zum Beispiel,
dort geht er voran.
Kann man sagen, dass die Nationalsozialisten bewusst versucht haben, den
Eltern die Kinder zu nehmen?
Man kann sagen, dass Hitler in einigen Reden – das ist auch dokumentiert –
vielleicht in unkontrollierten Ausbrüchen seiner Person dabei, dieses Konzept so
gesagt hat: wir nehmen sie in die Hand im Jungvolk, zum Beispiel der
Hitlerjugend, reichen sie weiter dorthin, und wenn sie dort durch sind, reichen
sie weiter – zum Beispiel mit 18 – zu dem
Reichskraftfahrkorps, zur Wehrmacht natürlich. Und er hat hinzugesetzt: Wenn
wir sie in der Hand haben, dann lassen wir sie nie wieder los.
Ich glaube also, dass die Familie rein die Produktionsstätte
nationalsozialistischer Helden – (Militär – Heldentod) - oder Frauen: „der
Führer braucht Soldaten" war. Dort ist das hingegangen. Und dazwischen gab es
„Kraft durch Freude" und die wundervolle Gymnastik, was die Leni Riefenstahl
filmisch dargestellt hat – das gab’s alles. Aber die Familie hat eigentlich
wenig zu sagen gehabt und ist immer konkurriert worden. Es hat kaum jemand
gesagt, frag deine Mutter und frag deinen Vater, sondern: der Führer sagt, der
Reichsleiter Baldur von Schirach sagt, Hermann Göring hat gesagt – es war eine
schrecklich fundamentalistische politische Kirche.
Aber wirksam?
Nun, das ist das was mich so entsetzt. Denn es ist eine so wirksame Pädagogik
gewesen. Die Zeit war ja nicht lang. Die war in Österreich sieben Jahre, und in
Deutschland sagen wir ab 1924. Das ist eigentlich nicht lang. Wieso war es
möglich, dass man ein Volk so in den Griff kriegt? Ja, es war möglich, und ich
halte das ehrlich gesagt – als Theologe – würde ich mir das alte Wort der
Dämonie ausborgen. Ein dämonisches Etwas.
Das ist auch so wie der Reichsleiter Speer, der große Baumeister, gesagt hat:
er ist ein Nazi geworden, weil er den Hitler eine Stunde reden gehört hat – und
das war’s dann. Die Stimme war’s. Und das ist das, was mich als Therapeut so
fasziniert aber auch unglaublich erschreckt.
Wann und wie ist ihnen eigentlich die Erkenntnis gekommen, dass sie
indoktriniert und manipuliert worden sind?
Ein Schimmer dieser Veränderung war der Mendelsohn – wieso mein Vater die
Mendelsohn-Noten hat. Man konnte ihn ja eigentlich anzeigen, denn das war
verboten. Ich wusste, was in seinem Bücherkasten war. Der war nicht sehr groß,
aber es war ein Mendelsohn drinnen. Da hat das angefangen. Und dann ist nach und
nach – nach dem 45-er Jahr Schichte für Schichte
einfach zerbröselt. Ich glaube, eines dieser ganz wesentlichen Dinge war,
dass wir auf der Flucht durch Mauthausen durch mussten, und ich musste die
Sträflinge, die eben Entlassenen, die KZ-Häftlinge muss man ja sagen, weil es
waren ja keine Sträflinge, überwiegend, die sind vielleicht gerade vor zwei,
drei Tagen erst freigekommen, haben entsprechend gewirkt, körperlich, und so,
und es war unzweifelhaft ein KZ. Das konnte niemand mehr leugnen, ich auch
nicht, auch meine Mutter nicht. Das war einmal der erste große Zusammenbruch.
Dann hat meine Mutter versucht, alle politisch Tätigen damals als Verräter und
Feiglinge zu bezeichnen – und so ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg auch beim
Zweiten: die verratene Deutsche Armee, natürlich an der Spitze die wundervolle SS,
das war überhaupt das höchste, und ein bisserl noch die Flieger, Piloten, Jagdflieger,
das war so: Hermann Göring, der mythische Hermann Göring, der Udet und alle
diese Leute – das geht ja bis heute so, wenn man es genau überlegt. Gut – das
ist schichtweise weniger geworden, schichtweise weniger.....
Aber noch nicht in der Napola?
In der Napola überhaupt nicht. Ich hab’s ja gar nicht gesehen. Es gab noch
eine andere Erschütterung: man gab mir eine Stange Wurst in die Hand und eine
Bestätigung – einen tollen Dienstausweis und eine neue Uniform – und so bin ich
am Karfreitag entlassen worden. Und mit einem Brief wo steht, ich habe mich
bereit zu halten auf neue Befehle. Und so bin ich in Wien am Westbahnhof in die
NSV, Nationalsozialistische Volkswohlfahrt hieß das Ding, und dort habe ich
versucht, zu übernachten. Und hab als erstes meine Stange Wurst rausgenommen und
habe fest hineingebissen. Da waren jetzt Flüchtlinge natürlich, jede
Menge drinnen, die haben gesagt: „Aber Burscherl, er ist der heilige
Karfreitag, das kannst doch nicht machen.". Die hätten grad so gut chinesisch
mit mir reden können. Ich habe keine Ahnung gehabt, wieso jemand mir sagen
sollte, an einem XXX kann man nicht in eine Wurst beißen. Zum Beispiel. Und so
ist das bei vielen kleinen Anlässen gewesen, dass ich erst lernen musste,
buchstäblich erst lernen musste, wie der richtige Sprachgebrauch ist, dass man
nicht auffällt.
Interview mit Erich Salzer (22. Mai 2007)
Ihr Vater war ja überzeugter Sozialist. Wie war die Reaktion in der Familie
auf den Einmarsch 1938?
Also der Vater hat negativ reagiert, weil er sich intensiv mit Politik
beschäftigt hat. Die Mama war euphorisch, weil der Vater war jahrelang
arbeitslos und sie war sicher. dass jetzt alles besser wird. Ich war auch
euphorisch, weil ich bin ja als Nicht – Römisch-katholischer unter dem Dollfuß –
Schuschnigg – Regime gedemütigt worden, permanent.
Ich war schon interessiert, weil ich viele Freunde gehabt habe die illegal
bei der – es hat nicht Hitlerjugend geheißen damals – die einen waren bei
Jungoranier, die anderen waren beim deutschen Schulverein Südmark, das waren
lauter illegale Jugendorganisationen. Ich war nirgends dabei, aber ich habe mit
denen sympathisiert. Aber von einem Antisemitismus hat man noch nichts gehört,
ja..
Also wie das dann passiert ist – die Mama war also begeistert, ich war auch
begeistert dass endlich einmal alles anders wird – und da hat der Papa gesagt zu
meiner Mama: du wirst dich wundern, der Hitler bringt den Krieg. Das war für ihn
eine ausgemachte Sache bereits im März 38. Und wenn der Erich dann einrücken
muss, dann wird dir das „Sieg - Heil"- Schreien vergehen. Und so war es.
Gut, ich habe also begeistert meinen Dienst gemacht beim Deutschen Jungvolk,
ich war Pimpf, und durfte – das war das höchste damals – es war nur eine
Enttäuschung, in ein Führerlager in Krumpendorf am Wörthersee. Das war ja so,
als wenn ich heute einen Flug auf die Malediven gewinnen würde. So hat sich das
abgespielt. Und der Papa hat eigentlich nichts dagegen gehabt. Die Mama hat
darunter gelitten, weil sie mich immer natürlich unterstützen musste. Ich habe
immer irgendetwas gebraucht, weißes Hemd und weiße Stutzen und für das Lager
sogar ein Pyjama – ich habe doch nur ein Nachthemd gehabt, ein selbstgenähtes
aus Flanell. Und von den Ausrüstungsgegenständen, die da auf der Liste gestanden
sind, haben wir ja überhaupt nichts gehabt.
Dann war ich Pimpf bis zum 14. Lebensjahr, hatte dort verschiedene
Laufbahnen. Ich wollte halt immer bei etwas besonderen sein. Ich war erst beim
Fanfarenzug, das war recht schön, denn wenn ein Prominenter angekommen ist, sind
wir am Bahnhof gestanden und haben die Wildgänse geblasen, oder sonst etwas.
Und dann bin ich zur HJ gekommen, da habe ich auch gleich wieder geschaut,
dass ich zu seiner Sondereinheit komme. Da war ich bei der Nachrichten – HJ, da
haben wir am Schillerplatz Morsen gelernt (didadidi – didadidi <lacht>),
und das war auch noch recht halbwegs lustig. Aber dann plötzlich – wann war das?
Da glaube ich war ich in der zweiten Handelsakademie – wurde es plötzlich
Pflicht, bei der Hitlerjugend zu sein. Also – und alles,
was für mich Pflicht war, so wie im Dollfuß – Schuschnigg – System war
Pflicht, am Sonntag in die Kirche zu gehen, da hast du einen Stempel gekriegt,
den du vorweisen musstest – und dann war plötzlich Pflicht, bei der Hitlerjugend
zu sein. Also das ist auch von der Schule her kontrolliert worden, ja. Aber zum
Glück haben wir uns dann was einfallen lassen, also eine Crew in der Klasse, und
einer davon war der Helmut Rasper, von dem Porzellan-Rasper, der hat gesagt,
wisst was, wir machen eine Sport – HJ. Er hat in der Weyringergasse ein Lokal
aufgerissen. Da treffen wir uns einmal in der Woche, machen wir „Heimabend"
unter Anführungszeichen, und einmal in der Woche sind wir am WAC – Platz und
jeder macht was er will. Der eine geht Fußballspielen, der andere geht Laufen,
also jeder, was er will.
Und damit ist also schon ein Knick gewesen. Das war der erste Zwang, und das
hat sich ja dann weiter gesteigert. Auf einmal hast du gekriegt eine
polizeiliche Vorladung zu einer Veranstaltung im Anatomischen Institut - in der
Währingerstraße glaube ich war das – und bist dort hin gekommen und dort hat es
„gewurlt" von SS-Leuten und auf der Bühne ist ein SS-Offizier gestanden und hat
gesagt: liebe Freunde, wir zeigen euch jetzt einen Film über die Waffen-SS, das
ist das Beste ungefähr was es gibt, wir sind eine vollmotorisierte Einheit, bei
uns geht niemand zu Fuß, und, und, und. Also schaut euch das einmal an, ja. Da
haben wir uns den Film angeschaut, und dann hat man gesagt, so, es kriegt jeder
einen Bogen, den er ausfüllen kann und unterschreiben – und dann hat er sich zur
Waffen-SS gemeldet.
Na, da hat es schon ein paar Übereifrige gegeben – also einige habe ich
gekannt, über die ich mich gewundert habe. Sind die deppert geworden, die melden
sich da gleich? Und dann haben sie gesagt: wer nicht unterschrieben hat, der
kann jetzt nach Hause gehen. Haben wir gesagt, leiwand, jetzt können wir z’ Haus
gehen. Und beim Ausgang stand wieder rechts und links ein SS-Mann, und die haben
dann gesiebt: „die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen". Und einige
ließen sie gehen, aber alle anderen, die also halbwegs gesund und vital
ausgeschaut haben, haben sie wieder zurückgeschickt. Dazu habe auch ich gehört,
dann bist wieder hineingekommen und auf einmal ist rechts von mir ein SS-ler
gesessen, links von mir ein SS-ler, und der hat gesagt: so, und jetzt machen wir
das miteinander. Wie heißt du,
wann bist du geboren, und, und – und jetzt unterschreib! Ich habe gesagt:
nein, das mach ich nicht. Ja wieso nicht? Sage ich, ich kann doch nicht ohne
meine Eltern zu fragen das unterschreiben. Hat er gesagt: Ja, wenn’st ein
„Mensch" hast, wirst bestimmt nicht deine Mama fragen. Sage ich: Sie, das Vierte
Gebot ist für mich das Höchste was es gibt ... und ich unterschreibe nicht. Aber
ich muss ehrlich sagen, mir ist schon das Wasser hinuntergeronnen, weil du hast
ja nicht gewusst, wie das weitergeht. Die waren ja nicht freundlich mehr dann,
die sind ja immer energischer geworden. Aber letztendlich haben sie mich dann
doch nach Hause gehen lassen.
In welchem Jahr war denn das?
Na ja, das muss gewesen sein 42.
Mit 16?
Ja, ja.
Angesichts der unterschiedlichen Einstellungen zum NS-Regime: hat es da nie
Diskussionen in der Familie gegeben?
Es hat eigentlich in der Familie, Gott sei Dank muss ich sagen, nie
Differenzen gegeben – auch so lange ich noch sehr begeistert war. Na, er hat
sich gedacht: der Bub soll seine Freude haben, wahrscheinlich. Und er wird sich
auch gedacht haben, es kann seinem Fortkommen nur nützlich sein. Aber er selbst:
ich meine, ich habe gesehen, er hat immer wieder so – es gab damals, ich weiß
nicht, woher die kamen - so Dünndruckzeitungen im Kleinstformat von den
Illegalen Sozialisten <bekommen>. Also, das hat’s gegeben, und das habe
ich auch gesehen, und das hat er vor mir – also er war sich sicher, dass wenn
ich so etwas sehe oder finde, dass ich ihn nicht „vernadern" würde – so wie es
ja im Altreich üblich war. Und ich habe ja gesehen, wie ich dann Soldat wurde,
das Gespräch mit Gleichaltrigen aus dem Altreich, aus dem sogenannten, das hat’s
nicht gegeben. Weil die haben - ab 33 hat man denen das derart eingeimpft, dass
es gar nichts anderes gegeben hat.
Soweit ich das gesehen habe, wurden ja die Hitlerjungen durchaus dazu
angehalten, die Eltern zu denunzieren?
Nein. Das hat es bei uns nie gegeben. Davon habe ich auch nie etwas gehört.
Also ich meine, ich hab das wohl gehört, aus dem sogenannten Altreich, aber ich
habe in Österreich oder in
meinem Bekannten- oder Umgebungskreis habe ich nie was gehört, dass es
derartige Affären gab zwischen Eltern und Söhnen. Nein.
War eigentlich irgendwie spürbar der Versuch der HJ, einem einen Teil seiner
Freizeit wegzunehmen?
Ja, das sicher. Du musstest ja – es waren ja immer wieder Veranstaltungen, zu
denen man verpflichtet war. Wenn die gesagt haben, am Sonntag ist das oder jenes
– am Anfang war das ja noch ein bisserl lustig. Da waren meistens im Haydn-Kino
so Filmmatineen, da haben wir gesehen die Leni Riefenstahl-Filme, Triumph des
Willens, der Ruf des Glaubens, und wie die
alle geheißen haben, und Hitlerjunge Quex, diese ganzen Nazifilme haben sie
uns dort vorgeführt. Aber natürlich: es war halt ein Kino umsonst, da hat man
nicht so gelitten drunter, und die Filme waren ja auch nicht schlecht gemacht,
das war ja gekonnt, überhaupt die Leni Riefenstahl-Filme. Aber damit war der
Sonntag natürlich immer verdorben. Da war immer irgend etwas los.
Das Motto der Hitlerjugend war ja: „Jugend wird durch Jugend geführt". Hat es
dagegen auch so etwas wie eine offene oder versteckte Opposition gegeben?
Grammophon-Spielen war natürlich das „non plus ultra". Wir sind jeden Sonntag
nach Mödling gefahren, zum Schwarzen Turm oben auf die Lagerwiese, und da oben
haben wir dann die Platten gespielt. Aber schon unterwegs in der Straßenbahn
haben wir den Saint Louis Blues gespielt <lacht>. Da sind natürlich immer
im Waggon irgendwelche radikale Nazi gesessen, die explodiert sind, wenn der
Armstrong gegrölt hat damals, zum Schluss. Auf das haben wir immer gewartet,
wenn der zum Schluss so richtig zu grölen begonnen hat. Aber das war schon eine
gewisse – eine Anti-Stimmung ist da schon erwacht, damals.
Da war ein Bäckermeistersohn aus Meidling, der Schumpoletz, in der Klasse –
die haben ja damals noch in der Nacht gebacken und nachmittags war die Backstube
frei - und da haben wir uns einmal in der Woche in der Backstube getroffen und
haben englische Jazzplatten gespielt am Grammophon. Das war aber nur eine kleine
Gruppe in der Klasse und da ging also so ein Kassiber herum: heute, 15 Uhr 30 –
Bäckerstube. Und – damals war er noch Regierungsrat – der Meitner <Anm.:
Klassenlehrer in der Handelsschule, von E. Salzer gesprächsweise als
"erzkonservativer Schwarzer" bezeichnet> hat das abgefangen und hat Angst
gehabt um uns dass wir politisch konspirieren, hat unsere Eltern vorgeladen.
Wenn der als Schubertbund-Präsident gewusst hätte, dass wir Jazzplatten gespielt
haben, wäre es natürlich noch ärger gewesen. Aber so hat er die Eltern gewarnt,
sie sollen aufpassen auf uns, dass wir keinen Blödsinn machen.
Die „persönliche Beziehung" zum Hitler – war das ein Führer, war das ein
Gott-Ersatz, war das ein Supervater – was war der?
Eine ähnliche Frage wurde mir neulich bei meiner Tochter in der Schule, wo
ich oft zu den Schülern rede, <gestellt>: Haben sie den Hitler je
persönlich gesehen? Habe ich gesagt: Ja. Und wie war das? Habe ich gesagt: Das
war genauso, wie wenn ihr zu einem Jazzkonzert geht. Mir ist es kalt über den
Rücken gelaufen. Der hat eine derartige – für mich, aber wahrscheinlich für alle
anderen auch – eine derartige Ausstrahlung gehabt. Die haben das ja
auch – ich weiß jetzt nicht, ob das gewollt war oder nicht – aber es war
dramatisch aufgebaut. Da ist einer in der Früh gekommen: wir müssen - morgen um
Neun sind wir alle am Ring, der Führer <hebt kurz den rechten Arm> kommt.
Sind wir alle hin. Ja – der Führer ist heute noch nicht da. Gehen wir wieder
z’Haus. Und am nächsten Tag war das selbe. Und am dritten Tag, am 13. März, ist
der endlich gekommen. Da war schon die Spannung so groß. Und auf einmal – jetzt
hast du’s schon brüllen gehört, kilometerweit – und auf einmal kommt er dann
<der rechte Arm ist erhoben>. Also es war wirklich – der Mann hat eine
Ausstrahlung gehabt, die aufgebaut wurde natürlich, ja. Aber so wie es halt
heute – ich habe das ein zweites Mal im Leben erlebt damals, da war auch während
der Nazizeit noch im Ronnacher der Gorni Cramer, das war eine Bigband, eine
italienische – und da habe ich zu zweiten Mal diesen – ist mir zum zweiten Mal
die Gänsehaut über den Rücken gerennt, so wie beim Hitler. Sonst nie wieder,
muss ich sagen. Aber, das war schon gut inszeniert, das Gaze. Du hast an jedem
Eck – und ich habe natürlich auch – ich meine, das kann man sich ja nicht
vorstellen: ich bin sogar - einer meiner Freunde hat das immer wieder mir vorgehalten –
ich bin also zu Hause wenn im Radio, Fernsehen hat’s noch nicht gegeben, eine
Übertragung war – waren ja laufend – und die haben das Deutschlandlied gespielt.
bin ich aufgestanden und hab die Hand gehoben <rechter Arm ist erhoben>.
Was hat denn da der Vater dazu gesagt?
Der war nicht dabei, ja. Aber meine Mama hab ich aufgefordert, das muss sie
auch tun. Und die hat das auch gemacht. <lacht>. Also, so fasziniert war
ich von dieser ganzen Idee – und Postkarten hast du gehabt, die hast du wo
hingestellt. Es war immer das gleiche Bild vom Hitler, es hat ihm wahrscheinlich
selber am besten gefallen. Ja.
Haben Sie du das nur gemacht, wenn er <der Vater> nicht da war?
Nein, nein. Der hätte höchstens gesagt: Bist deppert? Oder so was ähnliches.
Ja. Er hätte den Kopf geschüttelt über mich. Aber Angst hätte ich da – ich hätte
es vor ihm auch gemacht, ja
.